Schauplatz Tibet
Aktionsfeld Tibet
Die Rolle der Medien bei den März-Unruhen in Tibet, 7.4.2008

Mitte März kam es in Tibet, seit 1950 autonome Provinz der Volksrepublik China, zu Unruhen. Wir haben uns mit diesen Vorgängen auseinandergesetzt. Es geht dabei nicht darum, die Geschichte Tibets und das Verhältnis zu China aufzurollen und zu bewerten. Es geht vorrangig um die Frage, was uns durch die Medien über die jüngsten Vorgänge im März 2008 im Vorfeld der in China stattfindenden Olympiade vermittelt wird.

Was hat sich Mitte März in Lhasa, der Hauptstadt von Tibet, abgespielt? Werfen wir einen Blick in die Meldungen der Nachrichtenagenturen. Es ist erstaunlich, was sie an Information enthalten:

"Augenzeugen berichteten, Demonstranten hätten vor dem Jokhang-Tempel Polizei- und Feuerwehrwagen angegriffen, umgestürzt und in Brand gesteckt. Feuerwehrleute und Polizisten seien verprügelt worden. Die Demonstranten hätten die chinesische Flagge auf dem Platz vor dem Tempel eingeholt und mit Füßen auf ihr herumgetrampelt. [...] Mehrere Geschäfte gingen in der Altstadt um den Jokhang-Tempel in Flammen auf, wie staatliche chinesische Medien berichteten. [...] Die Ausschreitungen sind der vorläufige Höhepunkt der antichinesischen Proteste, die buddhistische Mönche am Montag [10.3.2008] [...] begonnen hatten." (DPA, 14.3.2008)

"'Die Opfer sind alle unschuldige Zivilisten und sie sind verbrannt', sagte der Regierungsvertreter laut Xinhua.[...] Zu den Todesopfern zählten zwei Hotelangestellte und zwei Händler. [...] Ein chinesischer Händler aus Lhasa sagte AFP am Telefon, Leute hätten buddhistische Mönche gesehen, die Chinesen mit Messern angriffen. [...] Xinhua berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von ausgebrannten Autos und Motorrädern. Bei den Protesten seien außerdem Fenster zerschlagen, Geschäfte geplündert und eine Moschee niedergebrannt worden." (AFP, 15.3.2008)

"Die Demonstranten hatten verschiedenen Berichten zufolge chinesische Geschäfte zerstört und Autos in Brand gesteckt. Amtlichen chinesischen Angaben zufolge gab es 160 Brände in Lhasa, davon 45 Großfeuer. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder, auf denen große Gruppen von Demonstranten zu sehen waren, die Geschäfte überfielen, plünderten und in Brand steckten." (AFP, 15.3.2008)

"In der neuen Bilanz stieg der geschätzte Sachschaden auf mehr als 244 Millionen Yuan (22 Millionen Euro). Nach diesen amtlichen Angaben sind in der tibetischen Hauptstadt 241 Polizisten verletzt worden, davon 23 schwer. Die Zahl der verletzten 'Zivilisten' stieg auf 382. Davon seien 58 schwer verletzt. Die Unruhestifter hätten 908 Geschäfte angegriffen und geplündert, 84 Autos angezündet sowie auch in 7 Schulen, 5 Krankenhäusern und 120 Wohnungen Feuer gelegt." (DPA, 22.3.2008)

Tibetische Exilregierung und Radio Free Asia

Doch in einem Großteil der Medien stellt sich die Situation ganz anders dar. Demnach sind es die chinesischen Sicherheitskräfte, die Tod und Verderben über die Tibeter bringen. "100 Tote und kein Ende" titelt die DuMont'sche Frankfurter Rundschau in ihrem Online-Angebot am 15.3.2008. "Das brutale Vorgehen chinesischer Truppen gegen Mönche und Demonstranten in Tibet forderte nach chinesischen Angaben zehn, nach tibetischen Angaben aber schon mehr als 100 Tote." Diese Darstellung finden wir am 16.3.2008 im DuMont-Blatt 'Express'. "Das ist Verrat an Olympia! - Weltweite Bestürzung nach blutigen Unruhen in Lhasa mit bis zu 100 Toten". Das lesen wir im Springer-Blatt 'Bild am Sonntag' am 16.3.2008. "Umbarmherzig hat Peking die Unruhen in Tibet niedergeschlagen. Es gab Dutzende, wenn nicht Hunderte Tote, über tausend Menschen wurden inhaftiert." Das lesen wir am 20.3.2008 im Newsletter der 'Gesellschaft für bedrohte Völker'. Und am 23.3.2008 lesen wir auf der Titelseite des 'Express': "Stoppt China! - Nach blutigen Militär-Einsätzen in Tibet fordert EU-Präsident den Olympia-Boykott - Die Attacken werden immer heftiger: Schon 99 Tibeter kamen bei den Unruhen ums Leben." Ohne moralische Bedenken wird mit Opfern und Tätern jongliert. Todesopfer unter der chinesischen Bevölkerung werden China angelastet.

Express, 23.3.2008: "99 Tibeter kamen bei den Unruhen ums Leben"

Das Material für diese Darstellung liefern die tibetische Exilregierung und der von der US-Regierung finanzierte Sender 'Radio Free Asia'. Dazu zwei Beispiele: "Die tibetische Exilregierung hat ihre Angaben zur Zahl der Todesopfer bei Chinas gewaltsamen Vorgehen gegen die Proteste in Tibet auf rund 130 erhöht. In ganz Tibet seien bislang etwa 130 Todesfälle im Zuge der gewaltsamen Zusammenstöße bestätigt worden, sagte der Chef der tibetischen Exilregierung, Samdhong Rinpoche, am Montag in deren Sitz im nordindischen Dharamsala. Zuletzt hatte seine Regierung von 99 Toten gesprochen." (AFP am 24.3.2008) "Der US-Sender Radio Free Asia zitierte Tibeter, wonach bis zu 80 Menschen getötet worden seien." (Frankfurter Rundschau am 15.3.2008)

Aktion bei der Entfachung des olympischen Feuers

Auch die 'taz' reiht sich ein in dieses Spiel. Am 25.3.2008 lesen wir über die olympische Zeremonie im antiken griechischen Olympia auf der Titelseite die Ausführungen des Lokalredakteurs Felix Lee: "Was für ein Auftakt: Pekings Olympia-Chef Liu Qi war bei der Entfachung des olympischen Feuers mit seiner Rede noch nicht am Ende, da schafften es Aktivisten von Reporter ohne Grenzen trotz großer Sicherheitsvorkehrungen auf die Bühne. Einem von ihnen gelang es gar, ein Spruchband mit der Aufschrift 'Boykottiert das Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt' zu entrollen. Die Fackel brannte, und der Lauf vom griechischen Olympia nach Peking konnte beginnen - und mit ihm hoffentlich auch ein langer und quälender Spießrutenlauf für die chinesische Regierung." (taz.de) Und weiter lesen wir in der 'taz': "Drei Männer versuchten, sich der Tribüne zu nähern, auf der der Chef des chinesischen Olympischen Komitees, Liu Qi, sprach. Sie trugen eine Fahne, auf der Handsschellen zu sehen waren, gruppiert zum Symbol der Olympischen Ringe." (taz.de)

taz, 25.3.2008, mit Bericht über Aktion von Reporter ohne Grenzen

Bereits am 18.3.2008 hatte 'Reporter ohne Grenzen' über den OTS-Service (Originaltextservice - Dienst der dpa-Tochter 'news aktuell GmbH') eine Meldung in die Agentursysteme eingespeist. "Berlin (ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt das Vorgehen der chinesischen Behörden gegen eine freie Berichterstattung aus Tibet auf das Schärfste", war diese bezahlte Pressemitteilung eingeleitet und fand Eingang in die Berichterstattung der Medien.

Wie sich Reporter ohne Grenzen finanzieren

Das Auftreten von 'Reporter ohne Grenzen' ist Anlaß für einen kurzen Exkurs zu der Frage, um was für eine Organisation es sich dabei handelt. Elke Groß und Ekkehard Sieker sind dem im vergangenen Jahr nachgegangen (kompletter Artikel):

"Eine [der] Vorfeld-Organisationen US-amerikanischer Außenpolitik, von denen auch Reporter ohne Grenzen Gelder erhalten hat, ist das National Endowment for Democracy (NED). Diese unter Präsident Reagan im Jahr 1983 gegründete US-Einrichtung ist international tätig und wird zu über 90 Prozent aus dem Staatshaushalt der USA finanziert [...] NED-Gründer, Allen Weinstein [...] 1991 zur Arbeitsweise des NED und ähnlicher Organisationen [...]: 'Vieles von dem, was wir heute machen, wurde vor 25 Jahren von der CIA insgeheim erledigt.'

Laut aktuellem Rechenschaftsbericht der RoG zählt unter anderem auch das Center for a Free Cuba (CFC) aus den USA zu den Geldgebern der Pariser Menschenrechtsverfechter. Das CFC gehört wiederum zu jenem Netz US-amerikanischer Organisationen, deren vordringliches Ziel darin besteht, die kubanische Regierung zu stürzen.

Zu den finanziellen Gönnern der Reporter ohne Grenzen gehört auch der [...] US-Multimilliardär George Soros [...]. Kaum jemand weiß, daß George Soros eine wichtige Rolle bei den politischen Prozessen in Osteuropa gespielt hat, die zum Zusammenbruch des Sozialismus führten. Schon seit 1979 unterstützte [er] osteuropäische Dissidenten [...], darunter die Gewerkschaft Solidarnosc in Polen, die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in der Tschechoslowakei und den Dissidenten Andrej Sacharow in der Sowjetunion. [...] Von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt engagierte sich Soros in den 1990er Jahren ebenso für die Destabilisierung der jugoslawischen Regierung, wie für die Unterstützung der gegen Serbien gerichteten politischen Interessen im Kosovo.

Aus der PR-Branche [steht] kein Geringerer in den Diensten von Reporter ohne Grenzen als die bekannte New Yorker Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Diese Agentur gehört zum Werbeimperium der Publicis S.A. Group, einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Frankreich. Zur üblichen Kundschaft dieses Werberiesens zählen Weltkonzerne wie Coca Cola, Disney, McDonald's und Toyota. [...] Für Reporter ohne Grenzen arbeitet Saatchi & Saatchi angeblich ohne Bezahlung. [...] [RoG] in ihrem letzten Rechenschaftsbericht [...]: 'Das Team der Agentur Saatchi & Saatchi entwickelt und realisiert alle Kommunikationskampagnen der Reporter ohne Grenzen.' [...] Publicis S.A. Group, zu dem Saatchi & Saatchi gehört, [verzeichnet] Kunden, die eng mit den außenpolitischen Interessen der USA verflochten sind, wie etwa der Bacardi-Konzern und nicht zuletzt die US-Armee."

Pogrom gegen Chinesen ignorieren?

Eine treffende Einschätzung in Sachen Tibet liefert der israelische Autor, langjährige Knesset-Abgeordnete und Friedensaktivist bei Gush Shalom, Uri Avnery. Er schreibt am 5.4.2008, es sei kein Zufall, "dass die Unruhen in Tibet am Vorabend der Olympischen Spiele stattfinden. Das ist in Ordnung. Ein für seine Freiheit kämpfendes Volk hat das Recht, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ergibt, um seinen Kampf zu fördern. Ich unterstütze die Tibeter, obwohl mir bewusst ist, dass die Amerikaner diesen Kampf für ihre eigenen Zwecke ausnützen. Klar, die CIA hat den Aufstand geplant und organisiert, und die amerikanischen Medien führen die weltweite Kampagne. Sie ist ein Teil des verborgenen Kampfes zwischen den USA, der herrschenden Supermacht, und China, der aufstrebenden Supermacht – eine neue Version des 'Großen Spiels', das im 19. Jahrhundert in Zentralasien zwischen Großbritannien und Russland gespielt wurde. Tibet ist nur eine Karte in diesem Spiel. Ich bin sogar bereit, die Tatsache zu ignorieren, dass die sanften Tibeter ein mörderisches Pogrom gegen unschuldige Chinesen ausführten, Frauen und Männer töteten und Häuser und Läden anzündeten. Solche abscheulichen Exzesse geschehen während eines Befreiungskampfes. Nein, was mich wirklich stört, ist die Heuchelei der Weltmedien. Sie stürmen und brausen über Tibet. In Tausenden von Kommentaren und Talkshows häufen sie Verfluchungen und Beschimpfungen über das bösartige China. Es sieht so aus, als seien die Tibeter das einzige Volk auf Erden, dem das Recht auf Unabhängigkeit mit brutaler Gewalt verweigert wird - wenn nur Peking seine schmutzigen Hände von den safrangelben Gewändern der Mönche wegnähme, dann wäre in dieser Welt alles in Ordnung." (uri-avnery.de)

Man stelle sich nur einen Moment vor: was wäre los, wenn Indianer aus ihren Reservaten ausgebrochen wären und Geschäfte und Häuser in New York angezündet hätten, oder - gar nicht auszudenken - wenn dies Palästinenser in Jerusalem getan hätten, und wie uns das vermittelt würde. Uri Avnery: "Die Weltmedien weinen wohl Tränen um das tibetische Volk, dessen Land von den chinesischen Siedlern weggenommen wurde. Aber wer kümmert sich schon um die Palästinenser, deren Land von unsern Siedlern weggenommen wird?" (uri-avnery.de)

Zum Abschluß sei erinnert an das Planspiel des US-Sicherheitsstrategen Zbigniew Brzezinski, 'The Grand Chessboard - Das große Schachbrett', zu dem er ausführt: "Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird. [...] Amerika ist heute die einzige Supermacht auf der Welt, und Eurasien ist der zentrale Schauplatz. Von daher wird die Frage, wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird, für die globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas von entscheidender Bedeutung sein." Das Aktionsfeld Tibet ist - daran dürfte kein Zweifel bestehen - ein Feld des großen Schachbretts. Und es ist die Rolle der PR-Kampagnen und der Medien, das nicht deutlich werden zu lassen.



Anhang

Ethnische Minderheiten - aus dem Buch 'Im Namen des Staates' von Andreas von Bülow

Die Geheimdienste der Großmächte aber auch der ehemaligen Kolonialmächte nutzen ethnische und soziale Minderheiten zur verdeckten Beeinflussung und Schwächung ihrer Gegner, indem sie von außen stützend unter die Arme greifen, die Führer in ihrem Bestreben nach Autonomie, nach einem selbständigen Staatswesen unterstützen, Freischärlern in ihrem Kampf mit Waffen, Geld, Ausbildung, Rat und Tat beistehen [1]. Die Minderheit ergreift die rettende Hand des Geheimdienstes einer dem Staat des Mehrheitsvolkes in Spannung gegenüberstehenden ausländischen Macht gerne nach dem Motto: Auch der innenpolitische Feind meines Feindes ist mein Freund [2]. Gerade die Beherrschungstechnik der Kolonialmächte suchte genau diesen Ansatz. Um riesige Territorien mit großen Bevölkerungsmassen ökonomisch, das heißt ohne den Einsatz eigener umfangreicher Truppenkontingente unter Kontrolle zu halten, war es stets zweckmäßig, auf geeignet erscheinende, kriegerisch taugliche Minderheiten zu setzen, deren Angehörigen die Kolonialmacht gut besoldete Stellungen in Militär und Polizeidienst einräumte. Sie erhielten Waffen und sonstige Machtmittel, um die Mehrheitsbevölkerung in Schach zu halten. Die Minderheit wurde materiell und in ihrem persönlichem Schutz von der Kolonial- oder Führungsmacht abhängig.

In der jüngsten Auseinandersetzung der Volksgruppen des ehemaligen Jugoslawien brechen die tiefsitzenden, jederzeit aufputschbaren Haßgefühle der je mit Konstantinopel/Istanbul, Wien/Berlin, Paris/London/Washington zum Teil über Jahrhunderte verbundenen jeweiligen Mehr- und Minderheiten wieder auf. Minderheiten werden von außen zur Manipulation der Mehrheit genutzt. Die Mehrheit, zuweilen über Jahrhunderte gereizt, rächt sich durch Ausgrenzung bis hin zur ethnischen Vertreibung der Minderheit. Das Ausschlachten der Spannungsverhältnisse von außen, die Finanzierung der Unversöhnlichkeit, die Prämie für das Aufschaukeln der Spannung machen das Zusammenleben unerträglich. Würde die Einmischung von außen unterbleiben, könnten sich die Partner oft arrangieren. Mehrheiten würden toleranter mit Minderheiten umgehen, Selbstverwaltung gewähren. Die Minderheit könnte auf ihre Minderheitenrechte vertrauen. Es fiele Zentralregierung leichter, Autonomie und Menschenrechte zu gewähren. Doch die Technik der Spannung, des divide et impera, des Teile und Herrsche, zerstört von Außen die Keime des Friedens.

1 Über das Ziel der Manipulation von Minderheiten vgl. Richard Bissell, langjähriger Chef der Abteilung für Verdeckte Operationen in der CIA in Ray, Schaap, Van Meter, Wolf, Dirty Work 2, S. 20 ff.

2 Ein Beispiel unter vielen vgl. Hugh Deane, The Cold War in Tibet, CAIB 29 S.49, aber auch die Mordbanden der Roten Khmer, die Opposition in Äthiopien. Vgl. Philip Agee, CAIB 29, S.66


Berichte von Augenzeugen - Augenzeugen berichten über die antichinesischen Ausschreitungen in Lhasa – aus dem Artikel 'Eyewitnesses Recount Terrifying Day in Tibet' in der 'Washington Post' vom 27.3.2008 - deutsche Übersetzung von Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 29.3.2008

Der kanadische Rucksacktourist John Kenwood berichtet, wie er am Nachmittag des 14 März »jung und dumm, aber voller Adrenalin« mit einem Mob von 200 oder mehr Leuten laut »Freiheit für Tibet« brüllend im Zentrum von Lhasa die Bereitschaftspolizei eine enge Straße entlang gejagt hat. »Es war ein erhebendes Gefühl, Teil der heulenden Meute zu sein, die die Polizei in die Flucht geschlagen hatte. Einige Polizisten ließen sogar ihre Schutzschilde fallen, um schneller aus der Reichweite der in ihre Richtung geworfenen Steinbrocken zu kommen. Dann hielt der Haufen der Tibeter an, sie lachten und schlugen sich gegenseitig anerkennend auf den Rücken. Die überschäumende Stimmung hielt aber nicht lange an. Die Menge teilte sich in kleinere Gruppen auf. Sie sammelten Steinbrocken, zogen ihre Messer aus der Scheide und suchten sich das nächste Ziel aus.

»Es sah so aus, als ob sie mit jedem, der vorbei kam, Streit suchten«, erzählte der 19 Jahre alte Kenwood. »Es ging nicht mehr um die Freiheit Tibets«. Was er dann sah, war ein gewalttätiger Amoklauf wie ihn Lhasa seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte. Hunderte von meist jungen Tibetern formierten sich zu herumziehenden Gangs, die chinesische Passanten angriffen, Geschäfte zerstörten und im Laufe von zwei Tagen 19 Menschen töteten und über 600 verletzten. »Während der Randale setzten Plünderer ein Bekleidungsgeschäft in Flammen, wodurch fünf junge Mädchen, die dort bedienten und sich in den ersten Stock gerettet hatten, Opfer der Flammen wurden. Während das Zentrum von Lhasa im Chaos versank, hielten sich die meisten Polizisten auf Distanz.«

Zwei Schweizer Touristen, die sich am 14. März auf einem kleinen Platz in der Innenstadt von Lhasa befanden, berichteten: »Die Menge auf dem Platz wuchs schnell auf über 100 Personen an, einschließlich fünf bis sechs Leuten in Mönchskutten. Die Menge begann, Steinbrocken auf ein Fastfood-Restaurant in der Nähe zu werfen, um es anschließend zu stürmen und die Inneneinrichtung samt Küchenvorräten auf die Straße zu werfen. Feuerwehrleute kamen, um die Flammen zu löschen, aber sie liefen weg, als der Mob ihren Feuerwehrwagen übernahm.« Die beiden Schweizer Touristen entschieden sich, die Szene zu verlassen, kamen aber in eine Straße, in der die Bereitschaftspolizei dem Mob entgegen getreten war. Sie sahen etliche Menschen, die durch Steinbrocken verletzt worden waren.

Claude Balsiger, ein weiterer Schweizer Tourist, erzählte, daß er Zeuge wurde, wie ein älterer Chinese von seinem Fahrrad gezerrt und auf den Boden geschmissen wurde, wo ein Aufrührer mit einem großen Steinbrocken seinen Kopf zertrümmerte. »Einige ältere Tibeter versuchten, ihn aufzuhalten, aber die anderen heulten wie Wölfe. Auf diese Weise unterstützten sie die Aufrührer«, sagte der 25 Jahre alte Balsiger und fügte hinzu: »Jeder, der chinesisch aussah, wurde angegriffen und zusammengeschlagen.«

Quelle: jungewelt.de


Weiterer Beitrag zum Thema Tibet:
Die Fackellauf-Kampagne
Analyse von german-foreign-policy.com, 8.4.2008

Alle Beiträge zu Tibet im Überblick:
Von der CIA gut geschmierter Propaganda-Apparat
Volker Bräutigam (ehem. Redakteur der 'Tagesschau') in 'Ossietzky' vom 22.3.2008
Aktionsfeld Tibet
Die Rolle der Medien bei den März-Unruhen in Tibet, 7.4.2008
Die Fackellauf-Kampagne
Analyse von german-foreign-policy.com, 8.4.2008
Eine widerliche Variante von Rassismus gegen Chinesen
Ich bin gegen den Boykott der Olympischen Spiele in Peking - Jean-Luc Mélenchon, Mitglied des Senats (Oberhaus der französischen Nationalversammlung) für die Sozialistische Partei, 7.4.2008
Tibet und eine Erinnerung an den am 10. März 1959 von der CIA angezettelten 'Aufstand'
Gary Wilson in WORKERS WORLD vom 19.3.2008 - in der deutschen Übersetzung in 'Luftpost - Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein'
Chinas weicher Unterleib - Die tibetische Falle
Jürgen Rose im 'Freitag' vom 11.4.2008 über Zbigniew Brzezinski, der Krieg am Hindukusch und der Aufstand in Lhasa
Bitte um Entschuldigung
Offener Brief an Se. Exzellenz, Herrn Botschafter Ma Canrong, vom 15.5.2008