Medien und Krieg - Das 'Massaker von Srebrenica'
Was geschah in Srebrenica?
Artikel aus Ossietzky 16/2009

In ihrer Ausgabe vom 1./2. August 2009 brachte die Frankfurter Rundschau unter der Überschrift »Massengräber in Srebrenica entdeckt« eine Meldung, die hier vollständig zitiert sei: »Vierzehn Jahre nach dem Massaker an Muslimen im ostbosnischen Srebrenica sind mindestens zwei Massengräber innerhalb des damaligen Stützpunktes der niederländischen UN-Truppen gefunden worden. Darin liegen die Überreste von sechs Erwachsenen und zwei Neugeborenen, wie ein Sender in Sarajewo meldete.«

Zwei »Massengräber« mit insgesamt acht Leichen, und zwar auf dem Gelände des damaligen UN-Stützpunkts – ist damit und mit der ungewöhnlich präzisen Quellenangabe (»ein Sender«) das »Massaker« endlich bewiesen?

Seit 1995 ist der Name Srebrenica in NATO-Ländern, vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, gleichbedeutend mit serbischer Grausamkeit gegen andere Völker im damals noch bestehenden Jugoslawien. Mit der Parole »Nie wieder Srebrenica!« warb, wie die ARD-Tagesthemen in der Anmoderation einer Sendung über Srebrenica in Erinnerung riefen, im Jahre 1999 der damalige deutsche Außenminister Joseph Fischer für den NATO-Krieg gegen Serbien. Eine ZDF-Sendung über Srebrenica stempelte gleich in ihrem Titel die Serben zum »Tätervolk«. Und diese Hetzpropaganda geht weiter. So veranstaltete Anfang Juli 2009 in Berlin das »Zentrum für Politische Schönheit« gemeinsam mit der »Gesellschaft für bedrohte Völker« und anderen Organisationen vor dem Brandenburger Tor und dem Bundestag ein viertägiges Srebrenica-Gedenken; den Besuchern wurden Attrappen von NATO-Bomben gezeigt, die, wenn sie 1995 gegen Serben eingesetzt worden wären, das »Massaker von Srebrenica« verhindert hätten.

Durchforscht man die Veröffentlichungen solcher Organisationen wie auch die Darstellungen der tonangebenden Medien in Deutschland, findet man zwar starke Worte, gewagte Behauptungen und phantastisch hohe Zahlen der Opfer des »Massakers« (7000 oder gar 8000 Muslime sollen im April 1995 ermordet worden sein), aber kaum konkrete Einzelheiten. Um so deutlicher treten die Absichten hinter dieser Propaganda-Kampagne hervor: Die deutsche Großmachtpolitik braucht für ihre »Interventionen«, also Angriffskriege, ein für allemal die Legende, daß wir Deutsche militärisch eingreifen müssen, um in aller Welt die Guten vor den Bösen zu schützen. Und ausgerechnet das Volk der Serben muß dafür herhalten.

Niemals im Lauf der Jahrhunderte hat Serbien Deutschland angegriffen, aber im 20. Jahrhundert hat deutsches Militär dreimal Serbien überfallen: 1914, 1941 und 1999. Der Name der serbischen Stadt Kragujevac sollte Synonym für deutsche Kriegsverbrechen auf dem Balkan sein: Deutsche Wehrmachtssoldaten ermordeten dort an einem einzigen Tag im Herbst 1941 zwischen 7000 und 8000 Menschen, darunter ganze Schulklassen, die mit ihren Lehrern zur Erschießung anzutreten hatten. Aber wie viele Deutsche haben den Namen Kragujevac überhaupt je gehört? Sehr viele kennen hingegen den Namen Srebrenica. Seine permanente Wiederholung genügt zur Konstruktion eines serbischen Tätervolks, das der Bändigung und Erziehung durch uns zivilisierte Deutsche bedarf.

In der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975 in Helsinki, die besonders auf Betreiben des blockfreien Jugoslawiens zustande gekommen war und den wesentlichen Sinn hatte, den nicht zustande gekommenen Friedensvertrag mit dem wiedererstarkenden Deutschland zu ersetzen, verpflichteten sich alle Unterzeichnerstaaten, gegenseitig ihre Souveränität, ihre territoriale Integrität und ihre politische Unabhängigkeit zu respektieren und zu garantieren. Aber die Bundesrepublik Deutschland unterstützte eifrig separatistische Tendenzen von Slowenen und Kroaten und anderen jugoslawischen Völkern. Kaum war Deutschland vereinigt, erkannte es Slowenien und Kroatien als unabhängig an. In Kroatien hatte das die gewaltsame Vertreibung hunderttausender Serben zur Folge, in Bosnien-Herzegowina entbrannte ein schrecklicher Bürgerkrieg zwischen Muslimen, meist katholischen Kroaten und meist orthodoxen Serben, angestachelt von vielen ausländischen Organisationen, zu denen auch die deutsche »Gesellschaft für bedrohte Völker« gehörte. In der Darstellung fast aller deutscher Medien reduzierte sich dieser Bürgerkrieg im wesentlichen auf die Beschießung muslimisch besiedelter Stadtteile der Hauptstadt Sarajewo durch serbische Truppen – Beschießung in umgekehrter Richtung blieb meist unerwähnt – und auf das »Massaker von Srebrenica« 1995; Einzelheiten wurden meist ebenso ausgespart wie Zusammenhänge. Was gerade in und um Srebrenica in den drei vorausgegangenen Jahren geschehen war, blieb außer Betracht. Die deutsche Öffentlichkeit weiß nichts davon, obwohl inzwischen mehrere Bücher darüber berichten.

In Srebrenica herrschte damals – auch nachdem die Stadt 1993 zur UN-Schutzzone erklärt worden war – die etwa 5800 Mann starke 28. muslimische Division mit ihrem Befehlshaber Naser Oric, der keine Scheu hatte, Reportern der Washington Post und des Toronto Star Videos von Massakern zu zeigen, die seine Soldaten in serbischen Dörfern in der Umgebung verübt hatten. Grausige Details über Oric und seine Verbrechen kann man in dem Buch »Von den Karawanken bis zum Kosovo – Die geheime Geschichte der Kriege in Jugoslawien« von Malte Olschewski, Redakteur des aktuellen Dienstes im Österreichischen Rundfunk und Fernsehen (ORF), nachlesen.

Eine Zusammenfassung der Ereignisse gab der österreichische Politikwissenschaftler Professor Walter Manoschek im vergangenen Jahr in der Wiener Tageszeitung Der Standard:

»Srebrenica war ursprünglich ethnisch gemischt. Doch bereits unmittelbar nach dem Eintreffen von Orics 28. bosnisch-muslimischen Division in Srebrenica waren die serbischen Einwohner im Mai 1992 aus der Stadt geflohen. An ihre Stelle kamen Muslime aus der umliegenden Gegend, und Srebrenica wurde zu einer muslimischen Enklave mit 35.000 Menschen. Von Beginn an attackierte die 28. Division die umliegenden serbisch bewohnten Dörfer mit größter Brutalität. Eine der erbarmungslosesten Aktionen fand am 7. Jänner 1993, dem Tag des serbisch-orthodoxen Weihnachtsfestes, statt, als Oric einen Überraschungsangriff gegen das Dorf Kravice anführte, bei dem über hundert serbische Soldaten und Zivilisten getötet wurden. Ein großer Teil der Feindseligkeit der bosnischen Serben aus der Region gegenüber den Einwohnern Srebrenicas resultierte aus dieser Phase des Krieges. Im Frühjahr 1993 übergab die jugoslawische Staatskommission für Kriegsverbrechen dem UN-Sicherheitsrat ein Memorandum. Es beinhaltete eine Liste von etwa 1300 Serben, die von Orics Truppen von April 1992 bis April 1993 getötet, und von 192 Dörfern, die niedergebrannt worden waren. Der UN-Sicherheitsrat akzeptierte das Memorandum als offizielles Dokument. Im April 1993 erhielt Srebrenica den Status einer Schutzzone, und UNO-Truppen wurden darin stationiert. Doch wurde die Stadt niemals erfolgreich demilitarisiert. Der UN-Report zu Srebrenica hielt fest, daß die muslimischen Truppen nicht mehr als 300 Waffen abgegeben hatten, die meisten davon waren unbrauchbar.«

Die 28. Division – so Manoschek – habe weiterhin Ausfälle in serbisches Territorium gemacht, und Oric habe sowohl 1994 als auch 1995 ausländische Reporter eingeladen, um ihnen seine »Kriegstrophäen« zu zeigen: Videos, die verbrannte und erschossene Serben, abgebrannte Häuser und Leichenberge zeigten, darunter Zeugnisse besonderer Grausamkeiten.

Doch obwohl die unter dem Kommando von Oric verübten Verbrechen gut dokumentiert waren, sprach ihn das von NATO-Interessen dominierte Internationale Jugoslawien-Tribunal ICTY (nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Gerichtshof oder dem Internationalen Strafgerichtshof) frei.

Schwer belastet wurde Oric auch vom ehemaligen muslimischen Bürgermeister von Srebrenica, Ibran Mustafic, der inzwischen selbst ein Buch mit reichhaltigem Beweismaterial veröffentlicht hat. Das ICTY legte keinen Wert darauf, Mustafic als Zeugen zu hören.

Als 1995 serbische Truppen in Srebrenica einzogen, brachten sie die meisten muslimischen Zivilisten mit Bussen in Sicherheit. Was mit vielen muslimischen Männern, vor allem Soldaten, geschah, die zurückblieben, ist bisher unzureichend geklärt. Ein Teil wurde offenbar in Gefechten getötet, daneben gibt es deutliche Anzeichen für Racheakte, die mit Recht Massaker zu nennen sind. Das Jugoslawien-Tribunal begründete den Haftbefehl gegen den Kommandanten der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladic, und den Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, mit dem Geständnis eines bosnischen Kroaten, Drazen Erdemovic, der 1996 angab, er sei an der Erschießung von 1200 muslimischen Zivilisten beteiligt gewesen; er selbst habe auf bosnisch-serbischen Befehl 70 bis 100 muslimische Zivilisten hingerichtet. Er nannte sechs Mittäter – unter denen sich kein Serbe befand – und mehrere bosnisch-serbische Vorgesetzte. Weder die angeblichen Mittäter noch die Vorgesetzten wurden bis heute verhaftet oder auch nur vernommen; Erdemovic selber wurde zu einer milden Strafe verurteilt. Über diese äußerst widersprüchlichen Vorgänge berichtet Germinal Civikov, langjähriger Redakteur der Deutschen Welle, in seinem Buch »Srebrenica. Der Kronzeuge«, das kürzlich im Wiener Promedia-Verlag erschienen ist.

Aufklärungsarbeit leistet die von dem US-amerikanischen Wissenschaftler Edward S. Herman geleitete Srebrenica Research Group (www.srebrenica-report.com), die eine Studie »Srebrenica and the Politics of War Crimes« herausgegeben hat. In einem Interview der Berliner Zeitung junge Welt sagte Herman im vorigen Jahr: »Die Mainstream-Presse ignoriert uns. Wir haben es mit einem geschlossenen Denksystem zu tun, das einem totalitären System alle Ehre macht.« Ich frage mich beim Lesen deutscher Konzernblätter oft: Sind die Journalisten zu faul, die Wahrheit zu suchen, zu dumm, sie zu finden, oder unfrei?


Weiterer Beitrag zu Srebrenica:
Gegen die Manipulation der Wahrheit
Interview mit Alexander Dorin zu Srebrenica, geführt von Kaspar Trümpy (Schweizer ICSM-Mitglied) am 12.09.2012

Alle Beiträge zu Srebrenica im Überblick:
Srebrenica, Frau Albright und die Satellitenbilder
Betrachtungen zu einem 'Massaker', das genau zum richtigen Zeitpunkt kam, 17.3.2005
Die Rolle von Srebrenica im Juli 1995
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 22.09.2003
Fragen, was in Srebrenica geschah, bald strafbar?
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 19.2.2005
Ohne Beweis ein gesichertes Faktum?
George Pumphrey über das 'Massaker von Srebrenica', 1999
'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll, 11.6.2005 (zuletzt ergänzt am 20.11.2005)
Reaktionen auf die Betrachtung 'Bilder lügen nicht!' oder: Fand das 'Massaker von Srebrenica' gar nicht in Srebrenica statt?
Über ein Anfang Juni 2005 'aufgetauchtes' Video, das eine Verbindung zwischen Ex-Präsident Milosevic und den Vorgängen von Srebrenica herstellen soll (Stand: 28.12.2005)
Der Pressekodex gilt nicht mehr
dpa-Journalist und Burda-Vorstandsmitglied kippen das Wahrheitsgebot, 15.3.2006
Ein fragwürdiges Video
Artikel von Ralph Hartmann über das so genannte ../srebrenica/srebrenica-Video - aus 'Ossietzky' vom 9.7.2005
Panther, Kaimane, Skorpione
Artikel von Germinal Civikov über das so genannte ../srebrenica/srebrenica-Video und den Prozeß gegen Slobodan Milosevic - aus 'Freitag' vom 1.7.2005
Bitte um Auskunft in Sachen Srebrenica
Eine Anfrage anläßlich der Internationalen Konferenz Bosnien 92-95 vom 2. bis 4.12.2005 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, 21.11.2005
"Gefechtstote werden geleugnet"
Gespräch mit Alexander Dorin in 'junge Welt' vom 10.7.2010
Was geschah in Srebrenica?
Artikel aus Ossietzky 16/2009
Gegen die Manipulation der Wahrheit
Interview mit Alexander Dorin zu Srebrenica, geführt von Kaspar Trümpy (Schweizer ICSM-Mitglied) am 12.09.2012

Alle Beiträge zum Fall Milosevic im Überblick:
Milosevic ist schuldig - das steht fest - denn wäre er es nicht, wäre es die Nato
Betrachtungen zu Jürgen Elsässers Buch 'Kriegslügen', Jugoslawien und dem Prozess gegen Slobodan Milosevic
Propagandamaterial als Beweismittel im Prozeß gegen Ex-Präsident Slobodan Milosevic
tagesschau.de zeigt das Propaganda-Bild unkommentiert, 14.2.2002
"Nie wieder Aufklärung - WDR-Dokumentation über den Haager Prozeß gegen Milosevic erhält den Joseph-Goebbels-Preis der Fernsehkritik"
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 3.12.2003 über "die story: Das Tribunal - Angeklagt Slobodan Milosevic", WDR-Fernsehen, 1.12.2003
Scharping, Milosevic und die Amselfeld-Propaganda
Über zwei Zitate und den Vorwurf, Slobodan Milosevic sei ein Nationalist
Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter gegen einen Prozeß der Unfairnis und Verfolgung
Künstler-Appell für Milosevic, verfasst von Robert Dickson (kanadischer Dichter) - Montreal, New York, Moskau, Paris, März/April 2004
NATO-Flop am Amtsgericht
Klaus Hartmann über ein Urteil, das die Sperrung der Spendenkonten für die Verteidigung von Slobodan Milosevic illegal nennt - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Milosevic klagt an
Anna Gutenberg über das Buch 'Die Zerstörung Jugoslawiens - Slobodan Milosevic antwortet seinen Anklägern', Zambon-Verlag 2006 - 'junge Welt' vom 04.03.2006
Die Ku-Klux-Klan-Logik zu Den Haag
Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 15.03.2006
Nicht in die Knie gezwungen
Ralph Hartmann, ehemaliger DDR-Botschafter in Belgrad, Auszüge aus der Rede zum Gedenken an Slobodan Milosevic, in 'junge Welt' vom 20.3.2006
Der Tod von Milosevic: ein politischer Mord, für den das Opfer verantwortlich gemacht wird
Sarah Flounders (Co-Direktorin des International Action Center, New York), in der Übersetzung aus dem Englischen von Klaus von Raussendorff, 23.3.2006
Mord in Den Haag
Ralph Hartmann in 'Ossietzky' vom 17.3.2006

Alle Beiträge zu vergangenen Kriegen:
Was Bilder beweisen - über die Funktion von Bildern im Krieg gegen Jugoslawien
Artikel von Andreas Neumann, August 2000, aus der Zeitschrift Arbeiterfotografie, Ausgabe 88
Der Informationskrieg
Artikel des Gegen-Informations-Büros zum Thema 'Propaganda und Krieg'
Bilder, sagt man, lügen nicht - oder vielleicht doch?
Artikel von Thomas Deichmann in der Weltwoche vom 9.1.1997
Unter den Trümmern der Dresden-Debatte liegen die Leichen des Jahres 1999
Jürgen Elsässer in 'junge Welt' vom 14.2.2005
Sarajewo 5.2.1994 - Bomben für den Frieden
Ralph Hartmann in 'Ossietzky', Ausgabe 8/2005