Köln, 17.7.2010 - 'Lass kesseln!' - Motorradkorso für soziale GerechtigkeitBilder

Motorradkorso für soziale Gerechtigkeit in Köln

Medienmitteilung, 20.7.2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,

am 17.07.2010 organisierten wir in Köln einen Motorradkorso, um gegen die Sparpolitik der Bundesregierung zu protestieren.

Pünktlich um 12.30 Uhr starteten rund 30 Motorradfahrer/innen zu einer Protestfahrt durch die Stadt Köln, wobei sie mit über die Motorradjacken gezogenen T-Shirts mit der Aufschrift „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ auf ihr Anliegen aufmerksam machten. Lautstarkes Gehupe sorgte an den Rheinpromenaden und in der Innenstadt für viel Aufmerksamkeit.

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Roncalliplatz direkt vor der Kulisse des Kölner Doms begrüßte Gine Willrich (Sprecherin der veranstaltenden Motorradfahrer/innen ohne Grenzen, Düsseldorf) die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

„Soziale Gerechtigkeit als ethisches und rechtliches Prinzip ist - wie vieles Andere auch – eine Frage des Blickwinkels und der Interessen.

Für uns heißt soziale Gerechtigkeit, dass allen Menschen, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung, unabhängig vom politischen Status zum Beispiel als Asylsuchende/r oder Migrant/in, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.

(...) die Front, der dieses ganze Elend zugrunde liegt, nämlich die Front zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, wird nicht eröffnet. Und daran sollten wir arbeiten. (...)

Jede/r, der oder die sich im Rahmen der Krisenproteste engagieren möchte, findet eine den eigenen Möglichkeiten und Bedürfnissen entsprechende Aktionsform – ob hier und heute beim Motorradkorso, ob beim europäischen Aktionstag am 29. September, bei den angekündigten Aktionen der Gewerkschaften oder bei den geplanten Bankenblockaden im Herbst oder bei den vielen kleineren und größeren Aktionen vor Ort. (...)

Wir dürfen nicht das Trennende suchen, wir müssen das Gemeinsame finden, um auch nur ein Stück echte soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.“

Als Redner sprach zuerst Prof. Dr. Butterwegge (Politikwissenschaftler, Uni Köln) über die konkreten Auswirkungen der Sparpolitik der Bundesregierung im sozialen Bereich. Insbesondere Kinder seinen von der wachsenden Armut betroffen. Die Umverteilung der Staatsverschuldung gehen eindeutig zu Lasten der jetzt schon Ausgegrenzten, Kapital und Finanzwirtschaft dagegen seien die Profiteure der Krise. Butterwegge prangerte unter anderem auch die ungerechte Erbschaftsteuer an, die im wirtschaftlich relevanten Bereich die Erben von Großvermögen begünstigt beziehungsweise steuerfrei stellt, Kleinerben aber zur Kasse bittet.

Michaela Hofmann (stv. Vorsitzende der Nationalen Armutskonferenz, Köln) vermittelte eindrucksvoll die konkreten Auswirkungen von Armut und zitierte dabei Stimmen von Betroffenen, zum Beispiel: „Vorschriften von Leuten zu bekommen, die niemandem Rechenschaft abgeben müssen, ignorant agieren und sich selber nicht an Regeln halten; es bedeutet, dass auf deinem Menschenrechten herumgetrampelt wird.“

Hofmann wies die Kundgebungsteilnehmer/innen auch darauf hin, wie diffamierend die Bezeichnung „sozial schwach“ für Menschen mit geringem Einkommen sei: „Armut ist keine Schwäche. Wer in Armut lebt, braucht oft viel Kraft und Energie, um seinen Alltag zu bewältigen. Wer diese Menschen als „schwach“ bezeichnet, kränkt und beleidigt sie noch zusätzlich.“

Dass besonders Frauen von prekärer Beschäftigung, Erwerbslosigkeit und vor allem der Streichung des Elterngeldes betroffen sind, konnte Britta Munkler (stv. Bezirksgeschäftsführerin von ver.di Duisburg/Nierderrhein, Bereich Einzelhandel) deutlich machen. Gerade im Einzelhandel sei geringes Einkommen mit Aufstockung durch Hartz IV keine Seltenheit. Munkler wies auf die Aktionstage von ver.di im Herbst 2010 hin.

„Für die Bildung tun sie nix, in der Rüstung sind sie fix!“ - Peter Trinogga (Kölner Friedensforum) machte die immensen Kosten der Rüstung deutlich. „Hier wird nicht gespart, das ist Augenwischerei. Die Bundeswehr soll zu einer weltweit agierenden Kampftruppe umgerüstet werden, das ist der einzige Grund, warum der Wehrdienst zu verkürzt wurde und Einberufungen zum Grundwehrdienst ausgesetzt werden soll. Die Rüstungsproduktion expandiert, die Gewinne der Rüstungswirtschaft sind unvorstellbar. HIER muss der Rotstift angesetzt werden. Zwischen der Krise des Kapitalismus und Aufrüstung und militärischer Expansion gibt es immer einen Zusammenhang!“

Auffallend bei der Protestveranstaltung war die rundum nicht vorhandene Reaktion der bürgerlichen Medien schon im Vorfeld, woraus (außer zum Beispiel der Ferienbeginn in NRW) sich unter anderem auch die nicht ganz so hohe Zahl der Teilnehmer/innen am dem Protestkorso erklärt. Aber dies ist keine Besonderheit - der Ausschluss von Protestbewegungen aus der Öffentlichkeit, die oftmals diffamierende Berichterstattung über regierungs- beziehungsweise kapitalismuskritische Positionen und Aktionen sind schon fast institutionalisiert. Sie gehören ebenso wie die massive Herabsetzung von Menschen in Armut, wie sie die bürgerlichen Medien gerne verbreiten, zur Funktion von Massenmedien in dieser Gesellschaft: Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Großwerbeträgern aus Kapital- und Finanzwirtschaft lässt die Verbreitung von Kritik an denselben nicht zu. Zudem muss die herrschende Meinung immer die Meinung der Herrschenden sein, um die Politik der Umverteilung von unten nach oben in den Köpfen verankern zu können. Kritik am Bestehenden ist da mehr als unerwünscht.

Wir zahlen nicht für EURE Krise!

Gine Willrich, Motorradfahrer/innen ohne Grenzen
Düsseldorf, 20.07.2010