Köln, 23.5.2010 - Festival der JugendBilder

Mohns Sieg über Duden und Humboldt - Der Einfluß von Bertelsmann auf die Bildungspolitik

Analyse von Klaus Stein

1. Charakterisierung des Konzerns, Verhältnis zur Stiftung

Die Bertelsmann-Stiftung besteht seit 1977. Sie hält über 76 Prozent des Aktienkapitals des viertgrößten Medienkonzerns der Welt, der Bertelsmann AG, den Rest hält die Familie Mohn. Hauptsitz in Gütersloh. Zum Bertelsmann-Konzern gehören der Gruner + Jahr Zeitschriftenverlag, die RTL-Group, die Verlagsgruppe Random House, die Direct Group Bertelsmann und die arvato AG.

Gruner und Jahr hält weltweit im Magazingeschäft über 300 Titel und setzt mit 14.500 Mitarbeitern 3 Milliarden Euro um. Bedeutende Publikationen in Deutschland sind unter anderem folgende Zeitschriften- und Zeitungstitel:

Stern, diverse GEO-Magazine, Financial Times Deutschland, National Geographic Deutschland, Brigitte, Gala, P.M. Magazin, Eltern, Capital, art – Das Kunstmagazin, schöner wohnen, essen & trinken, Auto, Motor und Sport. Gruner und Jahr ist noch beteiligt an der Rudolf Augstein GmbH mit 25.5% und am Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG mit 25.25%, am Dresdner Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG mit 60%, welches die Sächsische Zeitung publiziert.

Bertelsmann ist auch mit 20 % an der WAZ beteiligt.

Die RTL Group ist mit 45 Fernseh- und 32 Radiosendern Europas größter Betreiber von werbefinanziertem Privatfernsehen und Privatradio. 11.400 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, sie erarbeiten 6 Milliarden Euro Umsatz und 1 Milliarde Gewinn. Allein in Deutschland sind, um die größten Sender zu nennen: das RTL, RTL II, Super RTL, VOX , n-tv.

Die Verlagsgruppe Random House wurde 1998 von Bertelsmann übernommen und ist 5.800 Mitarbeitern und fast 2 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr die größte Publikumsverlagsgruppe der Welt. Unter anderem sind Teil dieser Gruppe 28 deutschsprachige Verlage, darunter: Blanvalet, btb, DVA, Goldmann, Heyne, Luchterhand, Manesse, Siedler.

Die DirectGroup Bertelsmann GmbH betreibt seit dem Jahr 2000 in 16 Ländern Buchgemeinschaften und Musikclubs, aber auch Onlineshops, Buchhandlungen und Verlage. Sie hat 11.000 Mitarbeiter. Die mehr als 15 Millionen Kunden erwirtschafteten dem Unternehmen im Jahr 2008 einen Gesamtumsatz von anderthalb Milliarden Euro.

Die arvato AG zählt mit ihren weltweit mehr als 270 Tochterunternehmen zu den größten international vernetzten Medien- und Kommunikationsdienstleistern. Hier arbeiten 52.000 Menschen, machen einen Umsatz von annähernd 5 Milliarden Euro und einen Gewinn von 366 Millionen.

Insgesamt beschäftigt Bertelsmann über 106 000 Menschen, machte mit ihnen im Jahr 2007 fast 20 Milliarden Umsatz und 2 Milliarden Gewinn.

Für die Stiftung sind 330 Mitarbeiter tätig; sie verfügte im Jahr 2004 über ein Vermögen von 766 Millionen Euro. Sie wird direkt von der Familie Mohn, der Besitzerin der Bertelsmann-AG, angeleitet und kontrolliert. Die Bertelsmann-Stiftung finanziert und organisiert wissenschaftliche Konferenzen und Studien. So entstehen Vorschläge für Umbaumaßnahmen in der Politik, die sich weitgehend durchsetzen und für eine Privatisierung politischer Entscheidungen sorgen.

2. Absichten der Bertelsmann-Stiftung

Der Firmenpatriarch Reinhard Mohn (* 29. Juni 1921; † 3. Oktober 2009) und mit ihm die Bertelsmann Stiftung setzen auf eine korporatistische Unternehmenskultur mit globalen imperialistischen Ansprüchen. Sie halten den Sozialstaat für überdehnt oder gar überholt. An die Stelle der Reste von demokratischer Gestaltung wird eine über den Wettbewerb hergestellte vorgebliche Effizienz als Steuerungsinstrument gesetzt. Es geht ihnen um die Zurückdrängung des Staates, die Verringerung der Staatsquote und die Senkung der Steuerlast.

Mit pathetischen Phrasen von einer „Gemeinwohlverpflichtung“ oder „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (so Reinhard Mohn) erarbeitet die Stiftung Lösungsangebote für alle möglichen politischen Felder.

Scheinbar wissenschaftlich neutral werden die Militarisierung Europas und die Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitssystems sowie der Kommunalen Einrichtungen propagiert. Auch das Konzept Bürgerhaushalt stammt von der Bertelsmann Stiftung. In Köln und einigen anderen Städten werden die finanziell klammen Kämmerer angeleitet, die Bürger in die „Sachzwänge“ des Sparens als Ratgeber einzubeziehen. Expertenmeinungen erscheinen in den Medien als Sachzwang und alternativlos.

Die SPD-Bundestagsfraktion gibt einen Wegweiser für Kommunen heraus, in dem Public Private Partnership (PPP) propagiert wird, als vielversprechender und erprobter Weg, öffentliche Leistungen schneller, früher und kostengünstiger bereit zu stellen, erarbeitet mit der Bertelsmann Stiftung.

Über die Zusammenarbeit mit der Hans-Böckler-Stiftung wird sogar die gewerkschaftliche Bildungsarbeit beeinflusst.

Diese Privatisierung der Politik wird indes von der Öffentlichkeit bezahlt. Die Familie Mohn hat sich durch die Gründung der Stiftung riesige Summen an einer möglicherweise anfallenden Erbschafts– oder Schenkungssteuern erspart und zweitens sind die Dividenden, die an die „gemeinnützige“ Stiftung abgeführt werden, steuerbegünstigt. Selbstverständlich herrscht die Familie weiterhin über die Kapitalanteile am Konzern.

Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik. Hochschulen werden von Reinhard Mohn – richtigerweise - als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen. Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor einigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten deutschen Privaten Universität Witten-Herdecke. Sie sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein. Die Gründung des Centrums für Hochschulentwicklung CHE indes markiert einen Strategiewechsel.

3. Einflußnahmen
3.1 Rechtschreibreform

Nicht jedem ist erinnerlich, dass der Rechtschreibreform von 1998 bis 2007 eine Konkurrenz des Dudenverlags mit Bertelsmann vorausging. Bertelsmann konnte den Streit um den Verlagsdauerrenner für sich entscheiden.

3.2 EU-Vertrag

Der EU-Vertrag von Lissabon ist ein Produkt des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP), einem Zweig der Bertelsmann Stiftung

3.3 Kommunalverwaltung

Pia Beckmann, die CSU-Oberbürgermeisterin von Würzburg, und der Bertelsmann-Konzern mit seiner Tochtergesellschaft arvato government services hatten 2007 das Projekt »Würzburg integriert!« aus der Taufe gehoben, berichtete die jW am 29. Januar letzten Jahres. Mit diesem Modellprojekt nach dem Muster von »eGovernment« (elektronisches Regieren und Verwalten) sollte erstmalig in einer deutschen Stadt eine »Integrationsplattform« geschaffen werden: Bürger verkehren elektronisch mit der Stadtverwaltung. Würzburg solle zu einem »herausragenden Kompetenzträger für eine moderne, bürgernahe und technologisch führende Verwaltung« werden. Für dieses Umkrempeln kommunaler Verwaltungen sieht Bertelsmann in Deutschland einen »Markt« von 20 Milliarden Euro. Nach dem ersten derartigen Projekt im englischen East Riding soll Würzburg den Durchbruch in Deutschland bringen. Als rechtlich-organisatorische Form wurde Public Private Partnership (PPP) gewählt. »Würzburg integriert!« erhielt 2007 den Innovationspreis des Bundesverbandes PPP und im Jahre 2008 noch mal. Das waren Vorschußlorbeeren.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren sollte arvato neun Millionen Euro investieren und erfolgsabhängig entlohnt werden. Merkmal des Erfolgs sollte vor allem sein, daß die Stadt jährlich bis zu zehn Personalstellen abbauen kann, insgesamt also etwa 100. Bei eGovernment werden die Bürger nicht als Bürger behandelt, sondern als Kunden. Sie sollen von der Verwaltung für einen Bauantrag, für die An- und Abmeldung u.ä. nicht funktions-, sondern fallorientiert behandelt werden.

Es wurde aber bald klar, dass die städtischen Angestellten nicht daran interessiert sind, den Abbau eigener Arbeitsplätze zu forcieren. Auch andere Probleme führten dazu, dass Pia Beckmann im Mai 2008 abgewählt wurde. Aber Bertelsmann wird dieses Geschäftsfeld nicht ungenutzt lassen.

3.4 Bildungspolitik
3.4.1 Schule

Erstmalig war von der Bertelsmannstiftung und ihrem Wirken durch die Berufung der sogenannten „Bildungskommission NRW“ durch Johannes Rau im Jahr 1992 zu hören. Deren Denkschrift wurde 1995 unter dem Namen „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft“ herausgegeben und hat einen durchschlagenden Einfluß auf das Schulwesen in NRW genommen. Unter den Mitgliedern der Kommission, die als „hochkarätig besetzt“ bezeichnet wurde, finden sich Pädagogen und Gewerkschafter wie Erich Frister, sogar als linksliberal bekannte Wissenschaftler wie Wolfgang Klafki und Klaus Hurrelmann, daneben aber auch Hilmar Kopper von der Deutschen Bank und Reinhard Mohn, Eigentümer von Bertelsmann. Aber geschrieben hat von den Hochkarätern keiner was. Denn Rainer Brockmeyer war der Autor der Denkschrift. Er war der Geschäftsführer der Kommission und ist noch heute für die Bertelsmannstiftung tätig.

Unter einem Schwall von pädagogischem und Wissenschaftsjargon wird die Zielrichtung dieser Denkschrift verborgen. Nach dem Willen von Johannes Rau sollte die Kommission „langfristig angelegte und gründliche Reformen“ erarbeiten, um von „Reparaturmaßnahmen auf der Grundlage traditioneller Gestaltungsmuster und Verantwortungsstrukturen“ wegzukommen. Damit sollten Perspektiven für die Entwicklungsprobleme im Bildungswesen und der Schule geschaffen werden, insbesondere in sogenannten Zeitsignaturen langfristige gesellschaftliche Entwicklungsprozesse benannt werden.

Dazu zählten:
  • die Pluralisierung der Lebensformen und der sozialen Beziehungen
  • die Veränderung der Welt durch neue Technologien und Medien
  • die ökologische Frage
  • die Bevölkerungsentwicklung und die Auswirkung der Migration
  • die Internationalisierung der Lebensverhältnisse
  • der Wandel der Wertvorstellungen und Orientierungen
  • Bildung sollte als Lern- und Entwicklungsprozess verstanden werden.
Damals ahnten nur wenige Lehrerkolleginnen und -kollegen, was diese Phrasen verhüllten. Beispielsweise müsse die Vorstellung von einem Wissenskanon aufgegeben werden. Dieser Wissenskanon wurde maliziös als „fest und geschlossen“ und unflexibel charakterisiert. Lehrer sollten nicht mehr „vorrangig Wissensvermittler“ sein, sondern „Lernberater“ und „Lernhelfer“. In vielen Schulen wurden Projekttage mit dem Thema „Lernen Lernen“ üblich und Methoden trainiert, die vorwiegend aus der Grundschulpädagogik stammen. Tatsächlich aber geht es um Dequalifizierung sowohl der Lehrer wie der Schüler, die Entwertung von Kenntnissen, vor allem von Restbestandteilen einer demokratischen Allgemeinbildung. Gegenwärtig ist die Kürzung der Studiendauer und der Schullaufbahn durchgesetzt, der Bildungsabbau schon gesellschaftliche Realität. Ein Ende ist aber nicht abzusehen. Schon 1995 wandte sich die Kommission gegen „starre Schulzeiten“. Der Hochschulzugang soll nicht mehr vom Schulabschluss abhängen, sondern von einem – diffusen und womöglich je nach wirtschaftlichen Bedarf zu definierenden - Gesamtbild der Qualifikation. Damit bleibt dann aber faktisch das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung auf der Strecke. Statt einer einer hierarchischen Organisation des Schulwesens wird von einer Selbstorganisation der Schule gesprochen. Allerdings konnte schon 1995 der Verdacht nicht von der Hand gewiesen werden, dass damit nur die Verantwortung für Kürzungen auf die Schulen verschoben werden soll. Der geplante Bildungsabbau verhüllte sich in einer linksliberalen Phraseologie und Rhetorik. Politisch verantwortlich dafür sind die damals in der NRW-Bildungspolitik führenden Sozialdemokraten.

3.4.2 Hochschule - Das CHE und das HFG

Unter der Überschrift „Manager erobern Kontrolle an den Unis“ bringt das Handelsblatt am 12. Oktober 2007 einen geradezu triumphalen Bericht, der hier vollständig wiedergegeben sein soll:

Die deutsche Wirtschaft gewinne an Hochschulen mehr und mehr Einfluss: In den neu entstehenden Hochschulräten stellten Manager bereits ein Drittel aller Mitglieder. Von den Vorsitzenden dieser Kontrollgremien komme sogar fast jeder zweite aus der Wirtschaft. Für die Hochschulen ein Engagement mit Zukunft.

„Die Liste Prominenter ist lang: An der LMU München – neben TU München und Uni Karlsruhe eine der ersten drei Elite-Unis – wirken der Berater Roland Berger und der Chef der Münchener Rück, Nikolaus von Bomhard. Den Vorsitz hatte bis vor kurzem der Verleger Hubert Burda inne, ein Nachfolger wird noch gesucht. An der TU München machen BMW-Chef Norbert Reithofer und Susanne Klatten aus der Quandt-Dynastie ihren Einfluss geltend. An der Uni Karlsruhe sitzt Daimler-Chef Dieter Zetsche im Kontrollgremium, ebenso wie Stefan Quandt, Vize-Aufsichtsrat bei BMW. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Hochschulräte sind ein neues Phänomen in der deutschen Hochschullandschaft. Der Startschuss fiel 1998 mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, die den Ländern völlige Freiheit für die Hochschulorganisation gab. Seither fährt der Zug – mit unterschiedlichem Tempo – in Richtung mehr Autonomie der Hochschulen und stärkerer Hochschulchefs. Kontrollieren sollen die neuen Hochschulräte – eine Art Aufsichtsrat. Ihre Macht ist je nach Bundesland unterschiedlich ausgeprägt, meist wählen sie jedoch den Hochschulpräsidenten und geben die Leitlinien der Hochschulen vor.

‚Es ist außerordentlich erfreulich, dass die Wirtschaft nun an den Hochschulen Verantwortung übernimmt’, sagt Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger, der den Arbeitskreis Hochschule bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber (BDA) leitet. ‚Hier kooperieren Beschäftigungs- und Bildungssystem ganz eng und ganz praktisch.’

Sattelberger ist selbst Mitglied im Hochschulrat der FU Berlin und zudem der FH Ludwigshafen. In der Hauptstadt will er vor allem dazu beitragen, dass ‚die Massenuniversität FU Bologna packt’ – also den Umbau auf das Bachelor/Master-System und die Internationalisierung.

Generell könnten Manager ‚den Hochschulen helfen, ein Qualitätsmanagement aufzubauen, inklusive einer Erfolgskontrolle, damit am Ende auch gute Studiengänge und Absolventen stehen’, sagt Sattelberger. ‚Bisher sind die Systeme zur Messung der Qualität – liebevoll formuliert – noch recht übersichtlich’.

Daneben könnten die Manager Hochschulen dabei beraten, ‚wie sie ihre Autonomie ausbauen und dann auch nutzen’ und sich zudem ‚ein Profil schaffen und damit eine Marke aufbauen’. Ein weiteres Feld sei der Aufbau einer ‚leistungsorientierten Bezahlung bis hin zu Rat und Tat in der Tarifpolitik’, sagt der Personalvorstand Sattelberger. Zudem müsse die Wirtschaft in den Räten darauf drängen, dass die Hochschulen weit stärker als bisher Weiterbildungmöglichkeiten für Berufstätige anböten.

In zwölf Ländern gibt es bereits Hochschulräte, in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Thüringen läuft der Aufbau. Nur Bremen sieht kein solches Gremium vor. Der Betriebswirtschaftler Werner Nienhueser von der Uni Duisburg-Essen hat die Zusammensetzung von 57 Räten mit 463 Mitgliedern untersucht. Er zeigt, dass die Uni-Angehörigen – Professoren, Mitarbeiter und Studenten – mit 41 Prozent die weitaus größte Gruppe stellen. Bereits auf dem zweiten Platz folgen Vertreter aus Unternehmen mit 33 Prozent. Generell gilt dabei: Je mehr Forschung die Uni im Auftrag Wirtschaft treibt, desto mehr Manager sitzen auch im Hochschulrat. Diese kommen fast alle aus Unternehmen – kaum aus Verbänden.

An dritter Stelle folgen Politiker, Vertreter der Öffentlichen Verwaltung und Richter. Unter ferner liefen rangieren dagegen die Gewerkschaften: Sie stellen nur jeden hundertsten Hochschulrat.

Das große Gewicht der Wirtschaft in den Hochschulräten steht auch für das in jüngster Zeit deutlich verbesserte Verhältnis beider Seiten. Kritiker befürchten jedoch, Unternehmen könnten über die Räte zu viel Einfluss gewinnen. Diese Gefahr sieht die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, nicht. Es komme auf eine gesunde Mischung im Rat an. ‚Und wenn Manager auf bestimmte Forschungsschwerpunkte drängen und gute Absolventen fordern, ist das doch positiv’.“

Dieser Triumpf hat in NRW seine eigene Geschichte:

Am 20. Dezember 2005 veröffentlicht das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmannstiftung 10 Forderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz. Angeblich geht es um die sogenannte Autonomie.

Minister Pinkwart reagiert am 25. Januar 2006 eilfertig und eifrig mit „Eckpunkten des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“. Seine Eckpunkte indes lassen deutlich die Handschrift des CHE erkennen. Beispiel:

Das CHE schreibt: „In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektors und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder des Hochschulrats sollten extern bestellt werden.“

Pinkwart fünf Wochen später: „Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule. Der Vorsitzende muss stets von außen kommen… Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht wahr. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelte Zielvereinbarung.“

Schon am 30. Mai 2006 beschließt das Landeskabinett NRW das Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) und bringt es auf den parlamentarischen Weg.

Am 26. Oktober 2006 wird das Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) im Landtag von NRW verabschiedet. Bisher waren sie ein Teil des Staates, somit dem zuständigen Ministerium und damit wenigstens dem Anspruch nach öffentlicher Kontrolle unterstellt. Nach dem HFG sind sie Körperschaften des öffentlichen Rechts. Damit einher gehen neue und geänderte Führungsorgane, die die neue Marktorientierung durchsetzen. Das indes wird durch den Begriff Autonomie nur dürftig verschleiert. Selbstverständlich fungiert hier der schon erwähnte Hochschulrat, der zum Großteil von Externen („nicht der Hochschule angehörig“ – gibt es sonst noch Merkmale, die sie auszeichnen? - K.S.) besetzt wird. Die Hochschule darf über rechtliche und fachliche Frage der Form nach selbst entscheiden. Die Fachaufsicht wird, so weit es geht, reduziert, der Hochschule wird es überlassen, mittels eigener Fachaufsicht die Inhalte neu zu bestimmen. Viele Paragraphen des Vorgängergesetzes fallen im Zuge einer „Entbürokratisierung“ weg.

Unter dem Titel: „Qualitätssicherung bei der Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes / Ministerium unterstützt Hochschulen auf Weg in die Eigenverantwortung – CHE mit Begleitung beauftragt“ teilt das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie am 13. November 2006 der Presse mit:

„Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh wird über einen Zeitraum von 18 Monaten die Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes begleiten und auswerten. Das gab Innovationsminister Prof. Andreas Pinkwart am heutigen Montag in Düsseldorf bekannt. ‚Staat und Hochschulen müssen ihre neuen Rollen finden und annehmen. Dies wollen wir von unabhängigen Experten begleiten lassen, damit alle von guten Beispielen lernen und mögliche Startschwierigkeiten schnell beheben können’, sagte Pinkwart. Neben dieser qualitätssichernden Begleitung sollen eine Reihe von Angeboten des Ministeriums die Hochschulen dabei unterstützen, die Möglichkeiten des neuen Hochschulrechts optimal zu nutzen und zugleich eine möglichst hohe Qualität bei der Umsetzung sichern.

Am 1. Januar 2007 tritt das neue Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) von Nordrhein-Westfalen in Kraft.

Nachtrag

Bekanntlich mußte am 22. Februar der Generalsekretär der NRW-CDU, Hendrik Wüst, seinen Hut nehmen. Er hatte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten für 6000 Euro angeboten. Er ging, damit den Wählerinnen und Wählern in NRW womöglich nicht noch weitergehende Fragen einfielen. Im einzelnen:

1. Wir erinnern an den Deal mit den 93 000 LEG-Wohnungen vom August 2008. Whitehall Real Estate Funds heißt der Käufer, ein Ableger der US-amerikanischen Großbank Goldman-Sachs. Bezahlt hat er 3,4 Milliarden Euro. Nach Abzug der Verbindlichkeiten blieben davon 787 Millionen Euro übrig, die sich NRW.Bank und Deutsche Rentenversicherung Westfalen mit der Landesregierung teilten. Letztere bekam bei diesem Privatisierungs-Deal über 470 Millionen Euro, pro Wohnung 5053,76 Euro! Ein Geschenk. Gab es ein Gegengeschenk?

2. Hat Bertelsmann dafür bezahlt, dass die Landesregierung die Vorschläge für eine Hochschulfreiheitsgesetz seines Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) vom 20. Dezember 2005 übernommen hat? Am 20. Dezember 2005 veröffentlichte das CHE zehn Forderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz. Minister Pinkwart reagierte schon einen Monat später, am 25. Januar 2006, eilfertig und eifrig mit „Eckpunkten des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“. Die glichen den Forderungen des CHE wie ein Ei dem anderen und wurden schon im Mai desselben Jahres in die Form eines Gesetzentwurfs gegossen. Das Gesetz gilt seit Januar 2007. Seitdem leiten Hochschulräte die NRW-Hochschulen, in denen Konzernvertreter unmittelbar auf Forschung und Lehre Einfluß nehmen.

3. Was kostet ein Sitz in einem Hochschulrat? Hat beispielsweise Hermann-Josef Lamberti (Vorstandsmitglied Deutsche Bank AG) für seinen Sitz im Hochschulrat an der Kölner Uni bezahlen müssen? Was ist der von Dr. Richard Pott (Vorstandsmitglied Bayer AG) wert?

4. Hat die Bayer AG für die Durchsetzung ihrer angeblich bombensicheren, aber lebensgefährlichen CO-Pipeline von Dormagen nach Uerdingen bezahlt?

5. Wieviel waren den großen Baukonzernen, etwa Hochtief und Bilfinger/Berger, der Zuschlag für überflüssige U-Bahnlinien in Düsseldorf und Köln wert?

6. Was hat es gekostet, den ehemaligen Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, Harald Friedrich, aus dem Amt zu mobben und zu klagen, nachdem er die hohe Belastung des Trinkwassers mit Perfluortensiden (PFT) nicht verschweigen konnte?

7. Der CDU-Oberbürgermeister Dr. Jens Baganz von Mülheim an der Ruhr mußte am 21. November 2002 zurücktreten. Zusammen mit seiner Freundin Frau Dr. Jasper hatte er die Wasserwerke, die Trinkwasserleitungen, die Abwasserentsorgung, die Versorgung mit Gas und Fernwärme sowie den städtischen Nahverkehr privatisiert. Frau Dr. Jasper war Partnerin und Mitinhaberin der größten Kanzlei von NRW, Heuking Kühn Lüer Wojtek und Partner. Frau Dr. Jasper hat für ihre Tätigkeit in Mülheim insgesamt 1,4 Millionen Euro an Honoraren kassiert. Das fiel auf.

Nach dem Wahlsieg seiner Partei bei den Landtagswahlen im Mai 2005 wurde Dr. Baganz Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium. Gewissermaßen als Spezialist für Privatisierungen. Welchen Anteil hat er an der Erarbeitung der neuen Gemeindeordnung vom Oktober 2007, deren Paragraph 107 die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden bis auf Ausnahmen verbietet, also Privatisierung erzwingen soll? Wie teuer war diese Regelung?