Lille (Frankreich), 13.4.2010 - Europäische Eisenbahner warnen vor Liberalisierung und Privatisierung der BahnBilder

Kundgebung in Lille - Europäische Eisenbahner warnen vor Liberalisierung und Privatisierung

Extrablatt vom 15.04.2010 - Publikation der Basisinitiative Bahn von unten in TRANSNET. Engagiert im Aktionsbündnis 'Bahn für Alle'

Vor dem Sitz der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) im nordfranzösischen Lille demonstrierten am Dienstag etwa 1000 Gewerkschafter aus ganz Europa lautstark gegen die zunehmende Privatisierung und Liberalisierung im Eisenbahnbereich.

Die Veranstaltung im Rahmen eines europaweiten Aktionstags der Europäischen Transportarbeiterförderation ETF war von der größten britischen Bahngewerkschaft RMT anberaumt worden und wurde auf französischer Seite organisatorisch tatkräftig von der Gewerkschaft SUDRail unterstützt, die als zweitstärkste Gewerkschaft bei der Staatsbahn SNCF gilt. Das ERA-Büro am Bahnhof Lille Europe war als Kundgebungsort ausgewählt worden, weil die 2006 ins Leben gerufene EU-Behörde nach Auffassung der Veranstalter ein maßgebliches Instrument im Prozess der Zerschlagung nationaler Eisenbahngesellschaften und Liberalisierung der Bahnen ist, wie sie seit gut 20 Jahren in EU-Richtlinien vorgegeben wird.

"Gewerkschaften in ganz Europa lehnen einmütig die systematische Zerschlagung integrierter nationaler Eisenbahnunternehmen, die Vernichtung von Arbeitsplätzen und Untergrabung von Sicherheitsstandards ab, wie sie durch die Umsetzung von EU-Richtlinien zur weiteren Liberalisierung drohen", erklärte RMT-Generalsekretär Bob Crow, der zusammen mit 200 Mitgliedern seiner Gewerkschaft durch den Kanaltunnel nach Lillie gekommen war. "Liberalisierung mag sich harmlos anhören, aber schwere Zugunglücke wie der Zusammenstoß zweier Pendlerzüge bei Brüssel im Februar sprechen eine andere Sprache", so Crow.

Wie der RMT-Chef warnte auch der Vize-Generalsekretär der zweitgrößten britischen Bahngewerkschaft TSSA, Manuel Cortes, vor einer drohenden Aufweichung der Sicherheitsbestimmungen für die Durchfahrt durch den Kanaltunnel. Dies war in den letzten Monaten ins Gespräch gebracht worden, um über die Eurostar-Züge der gleichnamigen und noch in öffentlichem Besitz befindlichen britisch-französisch-belgischen Zugbetreibergesellschaft der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen London, Paris und Brüssel hinaus auch Zügen anderer Bahnen wie dem deutschen ICE die Benutzung des Tunnels zur Weiterfahrt nach London zu gestatten.

Cortes erinnerte an mehrere Pannen im Tunnel in jüngster Zeit und fürchtet bei einer Aufweichung der Evakuierungs- und Feuerschutzbestimmungen unter dem Druck von Profiterwartungen eine Gefährdung des Lebens von Fahrgästen und Personal. Anders als die bisherigen Eurostar-Züge entsprächen die derzeitigen ICE-Baureihen nicht diesen hohen Anforderungen, warnte Cortes. Sicherheitsanforderungen und Gewinnstreben von privatisierten Bahnen seien nicht miteinander vereinbar.

Während die ERA nach eigenen Angaben die Integration der europäischen Eisenbahnsysteme fördern, technische Normen sowie Sicherheitsmaßnahmen und -ziele und einheitliche Signalstandards in ganz Europa ausarbeiten soll, sehen die versammelten Gewerkschafter in ihr vor allem einen Türöffner für die Interessen privater Investoren im Eisenbahnbereich. "Die ERA ist ein Beispiel für eine undemokratische europäische Institution. Sie wurde eingerichtet, um die Eisenbahnen, ihre Beschäftigten und Benutzer den Kriterien des Profits zu unterwerfen. Dies untergräbt die Einkommen und Arbeitsbedingungen und die allgemeine Sicherheit der Eisenbahnverkehrs", erklärte Christian Mahieux von SUDRail. Er beklagte tödliche Unglücke, Desorganisation, Abschlachtung von Arbeitsplätzen und Service-Verschlechterungen als Folge des Privatisierungsund Renditedrucks.

Im Anschluss an die Kundgebung übergab eine von Bob Crow angeführte Delegation der Leitung der Behörde ein von 16 verschiedenen europäischen Bahngewerkschaften unterzeichnetes Schreiben. Darin sehen die Gewerkschafter einen direkten Zusammenhang zwischen der 2006 eingeleiteten Liberalisierung im EU-Schienengüterverkehr und seitherigen schweren Unglücken im Kanaltunnel, im französischen Montauban und Livernan sowie im italienischen Viareggio im Juli 2009. Sie fordern ein integriertes Eisenbahnwesen in öffentlicher Hand mit hohen Sicherheits- und Ausbildungsniveaus, existenzsichernden Einkommen und einer Rücknahme der bisher erfolgen Privatisierungsund Liberalisierungsschritte. Für diese Zielsetzung finden derzeit in Frankreich Streiks statt, die allerdings regional unterschiedlich befolgt und nicht von allen Richtungsgewerkschaften unterstützt werden. werden. José Manuel Oliveira von der größten portugiesischen Gewerkschaft CGTP-IN kündigte für den 27. April einen neuen Streiktag für diese Ziele in seinem Land an, der mit Unterstützung aller Gewerkschaften rechnen könne.

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