Berlin, 4.2.2010 - Ein Haus erzählt - Kastanienallee 86Bilder

Ein Haus erzählt: Berlin-Kastanienallee 86 - Am Anfang war die Mainzer Straße

Text von Hartmut Ihlefeldt

Das Tuntenhaus Forellenhof wurde am 1. Mai 1990 in der Mainzer Straße 6 in Friedrichshain von homosexuellen West-Berlinern besetzt. Es war damit eins der ersten besetzten Häuser in der Mainzer Straße. Nachdem das Haus mit Unterstützung durch die schwule Szene in Berlin in Eigenarbeit renoviert wurden war, wohnten schließlich zirka 30 homosexuelle Männer dort. Einblick in das damalige Haus-Leben gibt die Dokumentation Battle of Tuntenhaus , (1990, 60 Min.) der US-amerikanischen Regisseurin Juliet Bashore. Im November 1990 wurde das Haus – wie der Rest der Mainzer Straße – nach heftigen Straßenschlachten zwischen der Polizei und Autonomen geräumt. Über das Leben ehemaliger Bewohner nach der Räumung berichtet Bashores Dokumentation Tuntenhaus-Update (GB, 1992, 45 Min.).

Kastanienallee

Ein Großteil der Bewohner zog nach der Räumung in ein besetztes Haus in der Kastanienallee 86 im Ortsteil Prenzlauer Berg, wo sich heute im Hinterhaus das dritte Berliner Tuntenhaus befindet, das zusammen mit dem Vorderhaus ein alternatives Wohnprojekt bildet. Wie schon beim Einzug absehbar war, wurden die Wohnverhältnisse in der Kastanienallee 86 schnell legalisiert. Im Gegensatz zum Projekt in der Mainzer Straße war das Nachfolgeprojekt in der Kastanienallee weniger politisch ausgerichtet. Dennoch beteiligten sich viele Bewohner an politischen Initiativen wie z.B. der Schwulen Antifa, der Zeitschrift Tuntentinte und der Kneipe h-bar. Großen Zulauf findet auch das jährlich stattfindende Hoffest.

Dienstags gibt es regelmäßig eine „Volxküche". Rückfragen dazu bitte vor Ort, im benachbarten Cafe "Morgenrot" stellen. Hier wird von den Bewohnern permanent ein nicht unerheblicher Aufwand betrieben, damit die "Tafel" immer ausreichend gedeckt ist.

Das Haus war in der DDR von der Kommunalen Wohnungsverwaltung entmietet worden und wurde nach der Wende und langjährigem Leerstand besetzt. Kurz darauf wurden mit der mittlerweile für das Gebäude zuständigen Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg Mietverträge abgeschlossen. Im Rahmen der Rückübertragung ging das Haus 1999 an verschiedene Eigentümer.

Während sich das Tuntenhaus im hinteren Flügel ansiedelte, entstanden im Vorderhaus neben den Wohnräumen unter anderem Projekte wie die nicht kommerzielle Galerie Walden, die jetzt in die Potsdamer Straße 91 umgezogen ist oder der neu eröffnete Umsonstladen gepaart mit einem Kunstprojekt. Der Umsonstladen ist ab sofort geöffnet: In der Regel von 17.00 Uhr – 20.00 Uhr. Viele, der in der Ka 86 wohnende Menschen sind Künstler. Das Tuntenhaus kann in diesem Jahr stolz auf sein 20 jähriges Jubiläum zurückblicken.

Das Haus gilt als eine der letzten Einrichtungen, die bisher nicht von der Gentrifizierung der Kastanienallee betroffen waren. Nach dem Verkauf im Jahr 2004 an die Kastanienallee 86 GBR, beabsichtigen die drei neuen Eigentümer jedoch, das Haus zu sanieren. Zunächst sollen die Dachböden, auf denen sich momentan die Gemeinschaftsbäder befinden, ausgebaut werden und sowohl neuen Mietern als auch einem der Eigentümer selber modernen Wohnraum bieten. Gegen die damit verbundenen Mietpreiserhöhungen und veränderten Lebensbedingungen protestierten die Bewohner der Kastanienallee 86 unter anderem mit mehreren Kundgebungen und machten zudem mit der Leuchtschrift „Kapitalismus normiert, zerstört, tötet“ auf der Fassade des Vorderhauses auf das Problem aufmerksam.

Auftretende Probleme oder größere Herausforderungen in der ca. 35 Menschen zählenden Gemeinschaft der Ka 86, werden bei Bedarf auch gemeinsam in einem Plenum gelöst. Toleranz für die unterschiedlichen Lebenswege bildet die Grundlage für das Zusammenleben in der Ka 86 Gemeinschaft. Ihre Ansichten plakatieren die Bewohner kunterbunt und präzise auch ganz klar an die Außenwelt.

Ein weiteres Highlight ist auch der Rattenchor, aus der Rattenbar. Mit feinem Gesang und spitzfindiger Parodie, werden hier nicht hinnehmbare Zustände und Verhältnisse aus dem täglichen Leben zur Schau gestellt. Auftritte in Berlin, Hamburg oder anderen Städten machen den Künstlern und Ihren Gästen viel Freude. Der „harte Kern“ dieser Gruppe besteht aus acht bis zehn Leuten. Es können für entsprechend umzusetzende Ideen und Projekte auch 30 Mitstreiter mobilisiert werden.

Die unveränderte Aussage der Bewohner: „Wir wollen leben, wie wir das die letzten Jahre getan haben, mit selbst bestimmten Regeln, geringen Mieten, ohne ständige Kontrolle, Gängelei oder Drohungen durch die Vermieter und gemeinsam mit Menschen, die ähnliche Ansichten zum Zusammenleben haben wie wir selbst.“ Ich bedanke mich bei Steffi, die seit ca. acht Jahren in diesem Wohn – und Kunstprojekt lebt.