Köln, 27.2.2008 - 'Wirtschaft, Macht und Medien' - Veranstaltung der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba mit Ekkehard SiekerBilder

'Reporter ohne Grenzen' – eine 'Lovemark' der US-Regierung

von Elke Groß und Ekkehard Sieker, 25. Juli 2007 (Basis für den Vortrag von Ekkehard Sieker)

Als am 27. Mai 2007 um Mitternacht der venezolanische Privatsender RCTV seinen Sendebetrieb medienwirksam einstellt, sind auch Vertreter der Pariser Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG) bei diesem Ereignis in den Redaktionsräumen in Caracas anwesend. Was war geschehen?

Nachdem die Ende Mai dieses Jahres abgelaufene terrestrische Sendelizenz von RCTV seitens der venezolanischen Telekommunikationsbehörde CONATEL nicht verlängert worden ist, hat dieser Privatsender auf die Ausstrahlung eines regulären Programms vorläufig ganz verzichtet. Der Entscheidung der Regierungsbehörde waren verfassungswidrige politische Aktivitäten des Senders besonders während des Putschversuchs im April 2002 gegen den gewählten Präsidenten Hugo Chávez vorausgegangen. Damals hatten RCTV – und andere private Sender – rechte Militärs und Unternehmer bei deren blutigem Umsturzversuch gegen die Regierung Chávez unterstützt. So sendete RCTV damals manipulierte Bilder und behauptete etwa, Anhänger der Chávez-Regierung hätten auf „unbewaffnete oppositionelle Demonstranten“ geschossen; eine Lüge, wie sich später herausstellte, die gezielt zur Rechtfertigung des Staatsstreichs von dem Sender RCTV verbreitet worden war. [1]

Nach eigenem Bekunden wollten die „Reporter ohne Grenzen“ (RoG) durch ihren Besuch in dem Andenland untersuchen, welche Konsequenzen sich aus der CONATEL-Entscheidung für die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung in Venezuela ergeben. Obwohl RCTV die Möglichkeit hat, per Kabel, Satellit und Internet sein Programm auch weiterhin zu verbreiten, bezeichnet die Pariser Organisation den Vorgang als „Schließung des Senders“. Dies sei ein „politischer Schachzug ohne Beispiel in Lateinamerika“, urteilt RoG. Das Nichtverlängern der Sendelizenz und die Vergabe der terrestrischen Sendefrequenz an einen neuen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender befänden sich „außerhalb aller rechtlichen Grundlagen“, behaupten die Reporter ohne Grenzen [2].

Tatsächlich ist das Nichtverlängern einer staatlichen Sendelizenz ein gängiger staatlicher Vorgang, der nur demokratisch gestützten juristischen Kriterien entsprechen muß. Ein solches Vorgehen wurde und wird in vielen Ländern der Welt immer wieder durchgeführt – und ein solcher Vorgang findet unter normalen politischen Bedingungen auch keine weitere – schon gar kein internationale – Beachtung. Die Entscheidung der venezolanischen Telekommunikationsbehörde ist juristisch durch die venezolanische Verfassung und das Telekommunikationsgesetz legitimiert. „Neben internationalen Vereinbarungen wie dem »Abkommen von San Jose« hat die nationale Telekommunikationsbehörde CONATEL nach Artikel 73 des Telekommunikationsgesetzes das Recht, staatliche Sendelizenzen zu vergeben oder zu entziehen, wenn ein Sender die Vertragsbestimmungen verletzt. Im Fall von RCTV ist das noch nicht einmal geschehen. Die Behörde hat gewartet, bis der Vertrag ausläuft“ argumentiert der Journalist Marcos Hernández, der Präsident der venezolanischen Organisation »Periodistas Por La Verdad« (Journalisten für die Wahrheit) ist [3]. CONATEL hätte inhaltlich unter anderem einen Entzug der Sendelizenz damit begründet können, daß der Sender RCTV auch nach seiner aktiven Rolle beim gescheiterten Putsch gegen Hugo Chávez seine verfassungswidrigen Aktionen nicht eingestellt hat. So unterstützte der Sender die rechtsextreme Opposition erneut Ende 2002 beim Aufruf zu einem „unbefristeten“ Generalstreik, bei dem der staatliche Erdölkonzern PdVSA durch leitende Angestellte sabotiert wurde mit dem Ziel, durch eine erhebliche Beeinträchtigung der Energieversorgung des Landes die Chávez-Regierung zum Rücktritt zu zwingen. [4]

Mit der „Schließung“ von RTCV und vor allem wegen der Überlassung der technischen Ausrüstung an den neuen öffentlichen Sender TVes habe Chávez die „letzte Bastion“ eingenommen, die seinem Einfluß bislang noch standgehalten hätte – die Medien [5]. An anderer Stelle bekräftigt der Präsident von Reporter ohne Grenzen Robert Ménard: „Chávez besitzt eine hegemoniale Position über die Kommunikationsmedien.“ [6]

Tatsächlich ist die Situation genau umgekehrt: Die fünf größten privaten TV-Sender kontrollieren mehr als 90 Prozent des Marktes und kleinere private Stationen bestimmen über weitere 5 Prozent; sie alle stehen seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez im Jahr 1999 mehr oder weniger auf der Seite der Opposition. [7] Das ist keineswegs verwunderlich, denn die meisten privaten TV-Sender – und das gilt auch für die Tageszeitungen – gehören einigen wenigen großen Privatunternehmen. [8]

An dieser Situation ändert sich auch nach dem Nichtverlängern der Sendelizenz von RCTV nichts, dokumentiert der venezolanische Botschafter in den USA Bernardo Alvarez Herrera in einem Brief an den US-Senator Christopher Todd am 22. Mai 2007: „Tatsächlich verbleibt die Mehrheit der Medien-einrichtungen Venezuelas in privaten Händen - von den 81 TV-Stationen befinden sich 79 im Privatbesitz, von den 709 Radiosendern sind es 706 und alle 118 Zeitungen werden privat geführt. Was noch wichtiger ist, sie alle üben ihre Rechte frei aus und kritisieren die Regierung oft in scharfen Tönen.“ [9]

Dennoch nimmt Reporter ohne Grenzen den Verlust der staatlichen Sendelizenz von RCTV zum Anlaß, um eine weitere Kampagne gegen die Chávez-Regierung zu starten, die schon seit langem im politischen Schußfeld dieser Organisation steht. Dabei beschränkt RoG ihre Angriffe keineswegs auf das Thema Pressefreiheit, sondern versucht immer wieder, die Chávez-Regierung insgesamt zu diskreditieren. In Venezuela seien Staat, Regierung und Armee komplett kontrolliert, heißt es etwa in einem am 5. Juni 2007 im Zusammenhang mit den Ereignissen um den Sender RCTV erschienenen Bericht der Organisation. Die regierende Partei sei im wesentlichen die einzige Partei [10]. Abgesehen davon, daß es über ein Dutzend politische Parteien in Venezuela gibt, wird hier von Reporter ohne Grenzen absurderweise in Abrede gestellt, daß eine vom Volk – seit 1998 bei mehreren Wahlen mit großer Mehrheit bestätigte – demokratisch gewählte Regierung über die Staatsgeschäfte und die Armee bestimmt.

Außer Venezuela steht noch ein anderes lateinamerikanisches Land im Focus der Menschenrechts-kampagnen von Reporter ohne Grenzen: Kuba, das von der Organisation als „das weltweit zweitgrößte Gefängnis für Journalisten“ [11] bezeichnet wird. Im ihrem Bericht für Amerika des Jahres 2005 fällt etwa auf, daß RoG zu Beginn davon spricht, „Pressefreiheit wird generell in der Region respektiert“. Doch das gelte nicht für Kuba, die Pressefreiheit werde zudem in Kolumbien verletzt und sei in Venezuela bedroht. Dann sprechen die Reporter ohne Grenzen von „12 getöteten Journalisten“, drei mehr als im Jahr zuvor: Mexiko (3 Tote), Nicaragua (2 Tote), Peru (2 Tote) und in anderen Ländern wird jeweils ein toter Journalist beklagt. Es fällt auf, daß Kuba nicht darunter ist, wo seit 1959 kein Journalist mehr ermordet wurde. [12] Außerdem hat die Organisation in der Vergangenheit des öfteren Kampagnen gegen Kuba gestartet, um offensichtlich zu erreichen, daß insbesondere in Europa Tourismus und Handel mit der karibischen Zuckerinsel boykottiert werden [13].

Während Länder wie Kuba und Venezuela von Reporter ohne Grenzen regelmäßig mit harscher Kritik überzogen werden, schlägt die Organisation gegenüber westlichen Regierungen auffallend leisere Töne an, obwohl es sicherlich genügend Gründe gibt, auch in vielen dieser Länder die Einhaltung von Pressefreiheit und Menschenrechten zu fordern. Unangemessene Zurückhaltung übt RoG insbesondere gegenüber den USA. So ist etwa der Fall des seit über 25 Jahren in den USA inhaftierten schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal für Reporter ohne Grenzen kein Thema, während sich internationale Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International, und Prominente, darunter Harry Belafonte und Angela Davis, seit Jahren für seine Freilassung engagieren. Der unbequeme Journalist war im Jahr 1982 wegen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt worden, obwohl beim Prozeß gegen ihn nachweislich gegen rechtsstaatliche Minimalstandards verstoßen wurde [14]. Im Dezember 2001 wurde das Todesurteil gegen Abu-Jamal wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers vorläufig aufgehoben, der Schuldspruch blieb allerdings bestehen. So ist der Fall auch weiterhin gerichtsanhängig und eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Doch auch als Mumia Abu-Jamal im Oktober 2003 zum Ehrenbürger von Paris [15] ernannt wurde, haben sich die ebenfalls in Paris residierenden Reporter ohne Grenzen nicht weiter um seinen Fall gekümmert.

Zurückhaltung in Bezug auf ihre Kritik gegenüber den USA übt die Organisation auch im Hinblick auf den Irak. Dort sind seit Beginn des Krieges im Jahr 2003 weltweit die meisten Medienschaffenden während der Ausübung ihres Berufes ermordet worden; bis Ende 2006 waren es 146 Personen [16]. Damit ist der Irak zum gefährlichsten Schauplatz für Journalisten geworden, nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit [17]. Die Verantwortung dafür liegt vor allem bei den USA, die durch ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg das Zweistromland seit 2003 mit exzessiver militärischer Gewalt überziehen und inzwischen die gesamte Region tiefgreifend destabilisiert haben. Statt diese Verantwortlichkeiten der US-Regierung klar zu benennen, erwecken die Reporter ohne Grenzen in ihrem aktuellen Jahresbericht den Anschein, als seien die getöteten Journalisten dort Opfer einer Art Naturkatastrophe geworden. Denn in dem Bericht heißt es: „Medienschaffende waren auch in diesem Jahr die Opfer einer wachsenden regionalen Instabilität, die den Mittleren Osten seit Jahrzehnten plagt.“ [18] Weiter wird in dem Jahresbericht der Organisation zu den Gründen, die zu den Ermordungen der Journalisten im Irak geführt haben, Folgendes ausgeführt: Die getöteten Medienschaffenden - zu über 90 Prozent Iraker - wären seit dem Weggang der meisten ausländischen Journalisten zwischen die Fronten „sich bekämpfender religiöser und Stammesmilizen“ geraten. Viele wären zur Zielscheibe geworden, weil sie für ausländische Medien arbeiteten und daher als „Spione“ betrachtet würden. Wieder andere Journalisten würden „wegen der politischen Linie ihrer Medien“ angegriffen[19]. Und auch an dieser Stelle ist die Verantwortung der US-Armee und ihrer Verbündeter für die gesamte Kriegssituation im Irak und den daraus – auch für Journalisten – resultierenden gewalttätigen und oft tödlichen Konsequenzen kein Thema für die Pariser Menschenrechtsorganisation.

Und wie beurteilen die Reporter ohne Grenzen den ‚Embedded Journalism’, diese seit dem Einmarsch der USA im Jahre 2003 in den Irak neue Form der vom Militär gesteuerten Kriegspropaganda? Denn die im Kriegsgebiet von den USA und ihren Alliierten ‚eingebetteten’ Journalisten sind wahrhaft ‚eingebettete’ Teile der angreifenden, bewaffneten Streitkräfte. Die Arbeit dieser mitunter sogar selbst mit Waffengewalt vorgehenden Militärpropagandisten [20] wird von der Organisation Reporter ohne Grenzen geradezu zynisch verharmlost: „Wir erkennen an, daß die Abhängigkeit der Reporter vom Militär in Kriegszeiten ihre Arbeit weniger glaubwürdig macht [21].

Diese Aussage und die Tatsache daß die USA und ihre Alliierten im Irak-Krieg eher mit Samthandschuhen angefaßt werden, beruhen nicht auf intellektuellen Ausrutschern. Diese Ansichten ergeben sich konsequent aus der Grundhaltung der Pariser Menschenrechtsorganisation, daß – bei aller Kritik an ein paar Problemen – der offenbar freieste Journalismus im Vergleich zu allen anderen Ländern der Welt in den Heimatländern der angreifenden Hauptmacht im Irak-Krieg USA und seiner beiden Verbündeten Italien und Frankreich zu finden ist. In den Worten der Reporter ohne Grenzen lautet dieses grundsätzliche Bekenntnis: „Aber all diese realen Probleme ändern nichts an der Tatsache, daß in den Vereinigten Staaten, Italien und Frankreich Nachrichten freier verbreitet werden als durchschnittlich im Rest der Welt.“ [22]

Einen Grund für diese auffallend unkritische Haltung nennt der Präsident von RoG, Robert Ménard, ganz offen. Auf die Frage, warum er zum Beispiel nie die Pressekonzentration in Frankreich kritisieren würde, antwortet Ménard: „Damit würden wir das Risiko eingehen, einige Journalisten zu verstimmen, uns die großen Pressebarone zum Feind machen und uns den Zorn der Wirtschaft zuziehen. Aber um in die Medien zu kommen, brauchen wir die Mithilfe der Journalisten, die Unterstützung der Pressebarone und das Geld der Wirtschaft.“ [23]. Zu der Frage, aus welcher Richtung denn Gelder an Reporter ohne Grenzen fließen, hat sich Robert Ménard ebenfalls öffentlich geäußert und dabei zugegeben, daß der Etat seiner Organisation „teilweise von US-Organisationen finanziert werde, die eng mit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten in Verbindung stehen“. [24]

Eine dieser Vorfeld-Organisationen US-amerikanischer Außenpolitik, von denen auch Reporter ohne Grenzen Gelder erhalten hat, ist das National Endowment for Democracy (NED) [25] [26]. Diese unter Präsident Reagan im Jahr 1983 gegründete US-Einrichtung ist international tätig und wird zu über 90 Prozent aus dem Staatshaushalt der USA finanziert, auch wenn sie offiziell als privat bezeichnet wird. [27]. Wo immer die US-Regierung weltweit an Regierungsumstürzen in ihrem Sinne arbeitet, ist das NED meist beteiligt. Während solche Operationen früher von Geheimdiensten im Verborgenen durchgeführt wurden, fließen nun offen Gelder über das NED an entsprechend tätige Projekte und Organisationen. Daher stellte einer der NED-Gründer, Allen Weinstein, der an der Entwicklung des politischen Konzepts dieser Einrichtung maßgeblich mitgewirkt hatte, im Jahr 1991 zur Arbeitsweise des NED und ähnlicher Organisationen fest: „Vieles von dem, was wir heute machen, wurde vor 25 Jahren von der CIA insgeheim erledigt.“ [28].

Schwerpunkt des NED war in den ersten Jahren nach seiner Gründung Mittelamerika, insbesondere Nicaragua, wo das NED und seine Partner gegen die linke sandinistische Regierung vorgingen und den Wahlsieg der konservativen Präsidentschaftskandidatin Violetta Chamorro im Jahr 1990 mitorganisierten. Inzwischen hat das National Endowment for Democracy seinen Schwerpunkt in der lateinamerikanischen Region verlagert - auf Venezuela und natürlich auf Kuba, jene beiden Länder, die auch im Kreuzfeuer der Menschenrechtskampagnen der Reporter ohne Grenzen stehen [29].

An Zufall mag man da kaum glauben, zumal sich weitere Verflechtungen zwischen dem NED und den Reportern ohne Grenzen nachweisen lassen: Denn laut aktuellem Rechenschaftsbericht der RoG zählt unter anderem auch das Center for a Free Cuba (CFC) aus den USA zu den Geldgebern der Pariser Menschenrechtsverfechter [30]. Das CFC gehört wiederum zu jenem Netz US-amerikanischer Organisationen, deren vordringliches Ziel darin besteht, die kubanische Regierung zu stürzen. Da ist es nur konsequent, wenn das CFC selbst den größten Teil seines Etats wiederum von der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen US-Regierungsbehörde USAID und dem NED erhält [31] Auf diese Weise wird Reporter ohne Grenzen mindestens auf zwei Wegen durch die US-Regierung mitfinanziert: einmal direkt über das NED und einmal indirekt über das Center for a Free Cuba.

Das Washingtoner Center for a Free Cuba wird geleitet von dem Exilkubaner Frank Calzón. Anfang der siebziger Jahre war er ein bedeutender Kopf von Abdala, einer Organisation gegründet von „einem Veteranen der Kubanischen Einheiten“ des us-amerikanischen Heeres [32]. Abdala war das öffentliche Gesicht der Frente de Liberación Nacional de Cuba (Front der Nationalen Befreiung Kubas), einer Gruppe, die verantwortlich gewesen ist für terroristische Anschläge gegen kubanische Interessensvertretungen und in den USA gelegenen Einrichtungen solcher Länder, die mit der kubanischen Insel Handel trieben. Unter anderem wurden Kanada, Frankreich und Spanien Opfer solcher krimineller Aktionen, die aber bis zum heutigen Tage strafrechtlich ohne Konsequenzen geblieben sind [33].

Der Vertrag zwischen den Reportern ohne Grenzen und dem Center for a Free Cuba wurde im Jahr 2002 von einem der damaligen Direktoren des CFC, dem US-Politiker Otto Reich, ausgehandelt [34] Otto Reich ist eine historische Persönlichkeit der US-Außenpolitik in Lateinamerika und war in den 80er Jahren unter Präsident Ronald Reagan einer der Spezialisten „für schmutzige Kriege“, wie ihn die Londoner Zeitung The Observer zutreffend bezeichnet hat [35]. Bei zahllosen Putschen oder Umsturzversuchen in Lateinamerika hatte Reich seine Finger im Spiel. Ob bei der Versorgung der Contras in Nicaragua mit Waffen in den 80er Jahren, bei dem rechten Putsch gegen Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 2002 oder bei der Absetzung des haitianischen Präsidenten Aristide im Jahr 2004: Otto Reich hat im Hintergrund geplant oder die Fäden gezogen und dabei häufig genug bewiesen, daß er keine Scheu hatte, verbrecherische und terroristische Aktionen zu unterstützen, wenn sie nur den außenpolitischen Zielen der USA dienten. Ein wahrhaft „angemessener“ Partner für Leute, die vorgeben, international für die Menschenrechte zu kämpfen.[36]

Zu den finanziellen Gönnern der Reporter ohne Grenzen gehört auch der aus Ungarn stammende US-Multimilliardär George Soros, wobei die Pariser Nichtregierungsorganisation beileibe nicht die einzige ist, die der umtriebige und mächtige Geschäftsmann unterstützt. Gerne finanziert er Nicht-Regierungsorganisationen (Non-Governmental Organisations, NGOs), damit sie ihm bei seinen politischen Aktivitäten nützlich sind, gerade auch in Osteuropa. Kaum jemand weiß, daß George Soros eine wichtige Rolle bei den politischen Prozessen in Osteuropa gespielt hat, die zum Zusammenbruch des Sozialismus führten. Schon seit 1979 unterstützte der gebürtige Ungar etwa osteuropäische Dissidenten mit drei Millionen US-Dollar im Jahr, darunter die Gewerkschaft Solidarnosc in Polen, die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 in der Tschechoslowakei und den Dissidenten Andrej Sacharow in der Sowjetunion. Die Soros-Foundation und die Open-Society-Institute von George Soros üben deshalb bis heute in den postsozialistischen Ländern einen erheblichen politischen Einfluß aus [37].

Das Ziel von George Soros ist immer das gleiche: Verkleidet als Menschenrechtler und Philanthrop unterstützt er pro-westlich gesinnte Bürgerrechtsbewegungen und Politiker dabei, in ihren jeweiligen Ländern neoliberal eingestellte Regierungen zu installieren, um anschließend in genau diesen Ländern unter wirtschaftlich optimierten Bedingungen seine eigenen Geschäfte um so effektiver betreiben zu können. Von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt engagierte sich Soros in den 1990er Jahren ebenso für die Destabilisierung der jugoslawischen Regierung, wie für die Unterstützung der gegen Serbien gerichteten politischen Interessen im Kosovo, um auch dort anschließend seine Geschäftsinteressen ungehindert zu verfolgen. Als „ungekrönten König von Osteuropa“ hat ihn daher der britische Journalist Neil Clark bezeichnet [38]

Die kapitalistische, neoliberale Wirtschaftsordnung weltweit durchzusetzen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der es nur noch um Profite und die Geschäftsinteressen großer Konzerne geht und in der die demokratischen Interessen der Bevölkerungsmehrheit keine Rolle mehr spielen – bezüglich dieses politischen Zieles sind sich die jeweiligen US-Regierungen seit Ronald Reagan und der Geschäftsmann Soros wohl einig, auch wenn er kein „voll bezahlter CIA-Agent“ ist, wie Neil Clark frotzelt. „Aber daß seine Unternehmen und NGOs eng in den US-Expansionismus verwickelt sind, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden.“ [39]. Anders als Bush und seine Mannen, die offen Kriege führen, kennt Soros „einen besseren Weg“, den Sturz fremder Regierungen auf vermeintlich sanftem Weg herbeizuführen, wie Neil Clark schreibt: lediglich „bewaffnet mit einigen Milliarden Dollar, einer Handvoll NGOs und einem Nicken und einem Augenzwinkern des US-Außenministeriums“ [40]. Die Mehrheit der Bevölkerung jener Länder, in denen Soros und andere ihre umstürzlerischen politischen Aktivitäten entfaltet haben, leiden inzwischen häufig unter einer erheblichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Für viele haben Armut und staatliche Repression zugenommen, die Menschenrechte werden dort – wie beispielsweise in der Ukraine – mit Füßen getreten. Daher kommt Neil Clark in seinem Porträt über George Soros, dem großen Freund von NGOs wie den Reportern ohne Grenzen, zu folgendem vernichtendem Resümee: „Die Soros-Strategie für die Ausdehnung der Pax Americana unterscheidet sich vom Modell Bush, besonders in ihrer Raffinesse. Aber sie ist genauso ehrgeizig und genauso tödlich.“ [41].

Längst ist deutlich geworden, daß Reporter ohne Grenzen oder Reporter sans Frontières, wie die Organisation im Französischen heißt, eine exponierte Stellung unter den internationalen NGOs einnimmt. Dies ist nicht nur der Fall aufgrund ihrer Förderung durch finanzkräftige Einzelpersönlichkeiten, wie George Soros, oder aufgrund finanzieller Zuwendungen seitens solcher Institutionen, die mit der US-Regierung eng verbunden sind und weil auch die französische Regierung zu den Gönnern der Reporter ohne Grenzen gehört [42]. Was diese NGO so auffällig und auch so schlagkräftig macht, ist vor allem ihre hochprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit, die sie für ihre politischen Ziele betreibt. Und tatsächlich steht aus der PR-Branche kein Geringerer in den Diensten von Reporter ohne Grenzen als die bekannte New Yorker Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Diese Agentur gehört zum Werbeimperium der Publicis S.A. Group, einem multinationalen Konzern mit Hauptsitz in Frankreich. Zur üblichen Kundschaft dieses Werberiesens zählen Weltkonzerne wie Coca Cola, Disney, McDonald’s und Toyota [43].

Ihre geballte Werbekompetenz lassen sich die New Yorker Profis gewöhnlich teuer bezahlen; für eine Nichtregierungsorganisation sind die Dienstleistungen einer solchen PR-Agenturt normalerweise unerschwinglich. Doch für Reporter ohne Grenzen arbeitet Saatchi & Saatchi angeblich ohne Bezahlung. So ist die PR-Agentur im aktuellen Finanzbericht von RoG zwar nicht als Geldgeber aufgelistet, sondern als einer von mehreren Geschäftspartnern, die ihre Dienste den Reportern ohne Grenzen kostenlos zur Verfügung stellen.[44] Das Geschenk hat sicher einen enormen geldwerten Umfang, denn die Pariser Menschenrechtsorganisation verkündet in ihrem letzten Rechenschaftsbericht nicht ohne Stolz: „Das Team der Agentur Saatchi & Saatchi entwickelt und realisiert alle Kommunikationskampagnen der Reporter ohne Grenzen.“ [45]

Warum ausgerechnet Saatchi & Saatchi für Reporter ohne Grenzen kostenlos die Werbetrommel rührt, darüber läßt sich begründet spekulieren. Schließlich verzeichnet der Werbekonzern Publicis S.A. Group, zu dem Saatchi & Saatchi gehört, Kunden, die eng mit den außenpolitischen Interessen der USA verflochten sind, wie etwa der Bacardi-Konzern [46] und nicht zuletzt die US-Armee [47]. Denn das Image der Truppe und der Ruf Amerikas haben bekanntlich seit Beginn des von den USA ausgerufenen „Krieges gegen den Terror“ im Jahr 2001 weltweit gelitten. [48]

So war Saatchi & Saatchi-Chef Kevin Roberts am 9. März 2005 eingeladen worden, um in New York vor Vertretern verschiedener US-Militär-Geheimdienste eine neue, bessere Werbestrategie zu präsentieren. Roberts entwickelte damals die Vision eines „Kampfes für eine bessere Welt“ als „paralleles Gleis zum Krieg gegen den Terror“. Dieser „Kampf für eine bessere Welt“ sollte aber mit positiv besetzten Inhalten gefüllt werden, wie der Bekämpfung von „AIDS“, der „Unterernährung“ oder von „Malaria“. Es gäbe ja bereits „phantastische Programme“, meinte der Werbefachmann, die einfach nur mehr finanzielle Unterstützung bräuchten, damit sie „schnellere und wirksamere Ergebnisse erzielen“. Damit hätte man dann „ein Produkt“, das sich über entsprechende Bilder, welche positive Emotionen wecken würden, nach allen Regeln der Kunst vermarkten ließe, mit dem Ziel „Amerika zu einer ‘Lovemark’ zu machen“[49].

Dabei hat Saatchi & Saatchi – in Anlehnung an den bekannten Begriff „Trademark“ – den Begriff „Lovemark“ geprägt. Dieses Wort, das umgangssprachlich spontan eher mit „Knutschfleck“ assoziiert wird, wurde von Saatchi & Saatchi mit einer neuen Bedeutung versehen: Mit „Lovemark“ wird im Werbejargon ein Markenprodukt bezeichnet, zu dem Verbraucher eine tiefe, bedingungslose Verbindung aufgebaut haben, die auf Emotionen wie „Respekt und Liebe“ beruht [50]. In seiner Rede vor den US-Militärs nennt Roberts auch Beispiele für sachliche und lebende “Lovemarks“: Harley Davidson und Apple oder der frühere US-Präsidenten John F. Kennedy [51].

Der „Krieg gegen den Terror“ sollte als erstes einmal in „Kampf für eine bessere Welt“ umbenannt werden, meint Kevin Roberts. Der Saatchi & Saatchi Werbeprofi Roberts hat sich einige Vorschläge einfallen lassen, um das angekratzte öffentliche Image der USA erheblich aufzupolieren. Doch in seiner Präsentation gegenüber den Militärs machte er auch deutlich, daß es ihm keineswegs um einen grundsätzlichen Politikwandel geht: „Amerikanische Sicherheit braucht eine drohende, strafende, brutale und unilateral kämpfende Truppe voller junger, leicht angenervter Männer, die in der Lage sind, jedes Schlachtfeld der Welt zu betreten.“ [52]

Nach den Vorstellungen von Kevin Roberts soll Amerikas „Krieg gegen den Terror“ alias Amerikas „Kampf für eine bessere Welt“ also durchaus weitergehen, „Amerika“ soll aber mit einem bestimmten Maß an „Rätselhaftigkeit“, „Sinnlichkeit“ und „Vertrautheit“ – also den „Bestandteilen der Lovemarks“ – umgeben werden, um damit anschließend diese Marke Amerika alias USA international besser verkaufen zu können. Natürlich müssen dabei aus Gründen der Glaubwürdigkeit auch Aktionen gegen „Armut, Hunger und Krankheit“ in der Welt durchgeführt werden, die dann im Fernsehen, „der größten Verkaufseinrichtung“, möglichst optimal den Menschen präsentiert werden [53].

Saatchi & Saatchi und die US-Streitkräfte, das machen die Überlegungen von Kevin Roberts deutlich, arbeiten auf parallelen Ebenen für das gemeinsame politische Ziel: Weltweit bedingungslose Loyalität mit den nationalen Interessen der USA zu erreichen.

Und dabei machen mit: die US-Regierung, das US-Militär, der milliardenschwere US-Geschäftsmann, die in den USA ansässige internationale PR-Agentur und nicht zuletzt die Pariser Organisation für Pressefreiheit und Menschenrechte – die Reporter ohne Grenzen.

Dabei gibt sich Reporter ohne Grenzen professionell richtig Mühe, als unabhängige, unparteiische und integre Organisation zu erscheinen, die sich unermüdlich für Pressefreiheit und Menschenrechte und gegen Unrecht und Unterdrückung einsetzt. Nicht zuletzt wegen des seriösen Erscheinungsbildes und Rufs dieser Organisation verlassen sich Medienschaffende aus aller Welt auf deren Daten und Informationen, viele Journalisten oder Prominente unterstützen diese Organisation sogar aktiv oder rufen zu Spenden auf, darunter auch bekannte deutsche Journalistinnen und Journalisten wie etwa Thomas Roth, Leiter des ARD-Studios Moskau, wie Maybrit Illner, ZDF-Journalistin und Moderatorin oder etwa Heribert Prantl, innenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung [54].

Auch wenn die Organisation Reporter ohne Grenzen im Einzelfall verdienstvolle Arbeit zu leisten vermag. Es ist im Zweifel eine geschickte Tarnung. Die Organisation ist ganz offensichtlich weder unabhängig noch unparteiisch, sondern arbeitet mit Geldern von Mächtigen für die Interessen der Mächtigen – Mächtige die gerade in ihrem internationalen „Krieg gegen den Terror“ die Menschenrechte mit Füßen treten.

Die Reporter ohne Grenzen haben es bereitwillig geschafft zu einer ‚Lovemark’ der US-Regierung zu werden. Ob das allen gutwilligen Spendern und Förderern so klar ist, darf bezweifelt werden.


Fußnoten: siehe hier