Rostock, 2.6.2007 (1) - Protest gegen G8-Gipfel in HeiligendammBilder

Eindrücke von den Protesten gegen das G8-Treffen in Heiligendamm

von H. Pflaum

Anlässlich des G8-Treffens in Heiligendamm fuhr ich am 1. Juni nach Rostock, um die bevorstehenden Ereignisse zu fotografieren. Ich stellte mich schon gedanklich auf Vorkontrollen ein. Vor und in Rostock gab es aber keine. Außerdem war sehr wenig Polizei zu sehen. Zumindest war das so bei mir. Im Camp wurde ich sofort von Leuten vom Info-Point in Empfang genommen. Dort habe ich freundlich Infomaterial und Sonstiges bekommen, was das Camp betrifft. Am Eingang hing ein Schild, das Fotografieren im Camp verboten ist - was für mich selbstverständlich war. Später aber, im Laufe der Woche, stellte ich fest, das Menschen im Camp mit Fotohandys etc. trotzdem Bilder machten. Ich glaube das sich nur die Presse, die dort vor Ort war, daran gehalten hat, nicht zu fotografieren.

Am Abend, so um 23h stellte ich mein vollkommen zerlegtes Zelt auf, welches ich davor einem Freund geliehen hatte, der es nicht mehr zusammengeknöpft hatte. Bei Dunkelheit echt nervig. Danach schaute ich mich etwas im Camp um. Ich stellte fest, dass es sehr gut organisiert war. Es gab mehrere Infozelte und Wände, um immer auf dem Laufenden zu sein. Selbst Ladestationen für Handys gab es. Für Plena etc. gab es Zirkuszelte.

Der 2. Juni war der Termin für die Großdemonstration und der Auftakt zu den G8-Protesten. Am Hauptbahnhof versammelten sich die GlobalisierungsgegnerInnen. Unterschiedlichste Gruppen waren zu sehen. Umweltgruppen, Black Block, Friedensaktivisten, Attac, Gewerkschaftler und viele andere mehr. Am Nachmittag ging es dann los. Ich stellte fest, dass wenig Polizei zu sehen war. Ab und zu konnte man Hundertschaften in den Seitenstraßen erkennen. Selbst beim schwarzen Block wurde kein Spalier gelaufen - wie man es von Bildern kennt, wo fast auf Tuchfühlung Polizei und Autonome in einer Demonstration laufen. „Deeskalation“ dachte ich mir! Vereinzelt kam es zu kleinen Schlamützeln. Eine Bank wurde entglast, oder Farbbeutel flogen auf Polizisten. Während des Demozuges flogen vereinzelt Flaschen und Steine auf kleine Polizeigruppen, die ein Gebäude schützen wollten. Bitter stiess mir auf, dass auch Gegenstände auf Gebäude und Polizei flogen, obwohl einmal auch Kinder davor standen. Aus der Menge im Black Block wurde gerufen: „Stop, Kinder“. Trotzdem wurde weitergemacht, und die Polizei versuchte diese Kinder zu schützen. Zum Glück ist nicht mehr passiert.

Dann fiel mir bitter auf, dass aus dem besagten Schwarzen Block immer wieder bis zu 10 Menschen aus dem Demozug heraus rannten, um Kamerateams, Fotografen und Journalisten zu verprügeln. Auch das Material wurde zerstört. Danach kehrten sie wieder in den Block zurück. Komisch aber finde ich: als die Polizei den Schwarzen Block angegriffen hat, wurde laut nach der Presse gerufen, um diese Vorfälle und Übergriffe von seiten der Polizei zu fotografieren, filmen und zu dokumentieren. Entweder oder - dachte ich mir. Presse verprügeln, dann diese um Hilfe rufen. Nicht sehr konsequent. Na gut, ich bin ja hier, um zu dokumentieren und Fotos von den Ereignissen zu machen.

Als der Demozug zur Abschlusskundgebung im Hafen ankam, telefonierte ich kurz mit meiner Freundin und sagte ihr, dass die Demo recht friedlich verlief und die Stimmung sehr gut ist. Kaum habe ich aufgelegt, um weitere Fotos zu machen, sah ich etwas aufblitzen. Es könnten Leuchtkörper oder Mollis gewesen sein. Und dann gingen die Riots los. Von überall flogen Steine, Hundertschaften von der Polizei stürmten in die Menge. Festnahmen, blutige Köpfe, Tränengas war zu sehen. Autos wurden umgeworfen, Mülltonnen als Barrikaden aufgebaut. Ein Auto wurde angezündet. Eine Kneipe wurde zerlegt und immer wieder stürmte die Polizei in die Menge. Es ging hin und her. Mal musste die Polizei türmen, mal die Menge. Ich fotografierte Sondereinheiten der Polizei, wie sie brutalst einfach Menschen, die friedlich am Rand standen, festnahmen, die überhaupt nicht geworfen hatten. Ich habe selbst beim Fotografieren einen Knüppel abbekommen. Die Polizei machte auf einmal vor nichts mehr halt. Sie stürmte den Platz vor der Bühne, wo sich friedliche Demonstranten versammelten, darunter viele Kinder und Jugendliche. Ebenso wurde auch Tränengas darin verschossen. Ich habe versucht, soviel wie möglich mit meiner Kamera festzuhalten. Einmal fotografierte ich einen Fotografen, der schreiend, mit einer über der Hand kläffenden Wunde am Boden lag. Das Blut spritzte aus der Wunde. Herbeieilende Demosanitäter lieferten sofort Erste Hilfe. Dann konnte ich ein Foto machen, als die Polizei auch Menschen festnehmen ließ, die fotografierten. Und ständig regnete es Steine. Manche Fotografen trugen Helme und dachten, dass sie dadurch geschützt sind. Dennoch wurden auch diese von Steinen getroffen oder von der Polizei umgerannt. Aber um gute Bilder zu bekommen, muss man auch nahe dran sein. Daher war die Gefahr groß, auch mit blutigem Kopf herumzulaufen, wie manch anderer Fotograf. Ich selber hatte Glück, obwohl haarscharf Steine an mir vorbei flogen oder wütende Polizisten auf alles einschlugen, was sich in den Weg stellte und sich nicht rechtzeitig zu erkennen gab oder in Sicherheit brachte.

Später, als die Lage sich immer noch nicht beruhigt hatte, fuhr die Polizei mit mehreren Wasserwerfern und Räumpanzern auf. Von der Bühne hörte man ständig, dass die Polizei aufhören solle, ständig in die Menge zu stürmen. Mittlerweile spielte die Band ‚Juni’ auf der Bühne. Es fehlte nur noch das Musikstück „Die perfekte Welle“, während die Wasserwerfer losspritzten. Aber auch ohne dieses Lied spritzten die Wasserwerfer in die Menge. Zwischendurch herrschte Panik im Publikum, da die Polizei schon fast vor der Bühne stand und wahllos Menschen aus der Menge griff. Es kam auch vor, dass die Polizei Fotografen mit Presseausweise festnehmen wollte, weil diese Helme auf hatten, mit dem Grund, dass Helme als passive Bewaffnung gelten.

Erst als die Polizei fast das ganze Gelände eingekesselt hatte, hat sich die Lage etwas beruhigt. Es gab noch kleinere Vorkommnisse. Aber zum späten Abend ließen die Auseinandersetzungen nach.

Als ich danach in ein Internetcafe gegangen bin, um meine Bilder an die Arbeiterfotografie zu verschicken, habe ich in den Nachrichten gehört, dass es über hundert verletzte Polizisten gab und davon dreißig schwer. Darüber habe ich mich sehr gewundert. Da ich auf allen Schauplätzen an diesem Tag war. Ich habe etwa drei humpelnde Polizisten gesehen, die gestützt von ihren Kollegen, weggebracht wurden. Klar, habe nicht alles mitbekommen, aber hunderte verletzte Polizisten? Sehr fragwürdig.

Am 3. Juni war eine Demonstration gegen globale Landwirtschaft und gegen Ausbeutung der Kleinbauern angesetzt. Mit dem Motto „Widerstand ist fruchtbar“. Als ich morgens auf dem Weg zur Demo war, musste ich feststellen, dass es viele Kontrollen gab. Zwei Männer die auch auf dem Weg waren und sehr harmlos aussahen, wurden an einem Kontrollpunkt der Berliner Polizei sehr grob und aggressiv angehalten und bezüglich ihrer Personalien kontrolliert. Vor dem Kundgebungsplatz wurde massiv Polizei aufgefahren. Als ich auch dort angelangt war, waren noch wenig Menschen anwesend. Das änderte sich innerhalb von einer Stunde schnell. Es wurden mehrere Reden gehalten. Unter anderem von einem Gegner von Genmais-Anbau, oder von einer Rednerin aus Nicaragua, oder einer Delegation aus Polen, die gegen globale Landwirtschaft war. Bevor die Demo losging, berichtet noch einer auf dem Laudiwagen, dass es auch Nazibauern gibt und diese angekündigt haben, ebenso an dieser Demonstration teilzunehmen. Er gibt allen Teilnehmern klar zu verstehen, dass diese Nazis unerwünscht sind. Sollten diese dennoch auftauchen, sollen alle sich klar dagegenstellen und diese von der Demo ausschließen. Dies wurde mit lautem Applaus bestätigt. Als der Demozug losging, waren schon mehrere tausend Teilnehmer anwesend. Man schätzte so ca. 5000 Demonstranten. Vor einer Lidl-Filiale wurde ein Zwischenstop durchgeführt. Dort gab es einen Redebeitrag über die schlechte Behandlung der Mitarbeiter, sowie die Billigpreise, mit denen Lidl für Milch und sonstige Produkte wirbt und somit die Kleinbauern aus dem Markt wirft etc. Die Demonstration verlief sehr friedlich. Obwohl die Polizei immer wieder Kontrollen am Rand durchführte, ließen sich die Demonstranten nicht provozieren. Für gute Stimmung und Musik sorgte Klaus der Geiger, so dass die Menschen während der Demo tanzten.

Für mich war das eine sehr gute Demonstration mit viel Anliegen. Leider muss ich sagen, dass dies wegen der Vorkommnisse des Vortags wenig Beachtung in den Medien bekommen hat.

Am Abend wollte ich das Konzert am Rostocker Hafen besuchen. Auf dem Weg dahin wurde ich von schlecht gelaunten Polizisten angehalten, um - wie soll es auch anders sein - wie auch den Rest der Woche, kontrolliert zu werden. Erst als ich aus meiner Fototasche den Presseausweis herausgeholte, wurden aus den schlecht gelaunten Polizisten plötzlich pseudo-freundliche Beamte, die mir versucht haben zu erklären, warum sie diese Kontrollen durchführen. Als ich wieder weiter ging, konnte ich an anderen Punkten sehen, dass Polizisten eine Mappe mit Fotos hatten. Fotos in guter Qualität - soweit ich es erkennen konnte - von Menschen die am Samstag von der Polizei abgelichtet wurden. Personen, die in eine Kontrolle geraten waren, wurden mit dieser Mappe verglichen.

Der 4. Juni war der Aktionstag Flucht und Migration. Am Morgen war eine Kundgebung vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen unter dem Motto „3 Tage im August...(und viele Jahre mehr)“. Dort wurde den Opfern ausländischer Herkunft gedacht, die 1992 von einem Bürgermob rassistisch gejagt und lebensgefährlich bedroht wurden.

Als ich mit mehreren Demonstranten am Sonnenblumenhaus angelangt war, bot sich schon ein massives Polizeiaufgebot vor Ort. Es kamen immer mehr Demonstranten zum Kundgebungsort. Viele breiteten Transpis aus, die an die Tage erinnern sollten. Da mehr und mehr Demonstranten auftauchten, wurde die Polizei schon nervöser. Da die Kundgebung direkt an der Hauptstraße lag und daneben die Bahn hielt, wurde es auf den Platz recht eng. Zwischen durch wurden auf den Laudiwagen Reden gehalten. Dann, aus unerklärlichen Gründen, ging die Polizei ohne Vorwarnung auf die Demonstranten los. Sie prügelten auf diese ein und versprühten Pfefferspray. Es gab brutale Festnahmen. Ich konnte sehen, dass, als ein Demonstrant schon am Boden lag und fixiert wurde, ein Polizist mit kräftiger Statur noch mal mit voller Wucht auf den Menschen getreten hat, so dass dieser vor Schmerzen schrie. Ein paar Festgenommene mussten noch vor Ort von Sanitätern versorgt werden. Als ich Fotos von den Übergriffen machen wollte, wurde ich ebenfalls von der Polizei ermahnt - was mich aber nicht abschreckte, da ich es als wichtig empfand, diese miesen Übergriffe auf friedliche Demonstranten zu dokumentieren. Ebenfalls war der Polizei das „Legal Team“ ein Dorn im Auge. Dieses Team setzt sich aus Anwälten zusammen, die sich um Festgenommene vor Ort oder in Gewahrsam kümmern. Einer von diesem Team kam auf mich zu, erklärte mir, dass die Polizei vorhätte, dieses Team auch festzunehmen. Ich sollte den anderen Pressevertretern und Fotografen Bescheid sagen, um dies, wenn es passieren sollte, festzuhalten. Ich denke, dass die Polizei mitbekommen hatte, dass sich ein paar Fotografen mehr um das Legal Team aufhielten und es dann doch nicht gemacht haben. Dann kam ein Fotograf auf mich zu, ich glaube der war von Reuters, der empört auf drei Personen zeigte und sagte „Nazipresse“. Tatsächlich: es waren Nazis, mit Presseausweis und Akkreditierung.

Andere Fotografen und Presseleute waren ultra sauer, dass solche Nazis eine Akkreditierung bekommen. Ein paar Presseleute gingen zu den Demonstranten und warnten diese vor der Nazipresse.

Als die Kundgebung zu Ende war, gingen die Demonstranten friedlich zur Bahn zurück. Aber der Polizei ging es anscheinend nicht schnell genug, so dass sie wieder anfing zu provozieren und gleich noch mal Pfefferspray einzusetzen. Als die Leute in die Bahn einsteigen wollten, hat es sich auf Grund der Massen leicht verzögert. Das hat die Polizei noch mal veranlasst, in einen Waggon mehrmals hineinzuschlagen.

Nach der Kundgebung hatte ich vor, Richtung Heiligendamm zu fahren, um Fotos vom Zaun zu machen. In Warnemünde mit dem Zug angekommen, versuchte ich mit dem Bus in die Nähe des Zauns zu gelangen. Nach einem dortigen, kleinen Kulturschock ging ich noch ein wenig durch diese, irgendwie andere Welt. Davor in Lichtenhagen waren noch Polizisten, die auf die Demonstranten einschlugen und wild mit Pfefferspray sprühten und Verhaftungen durchführten - zudem noch die Tage zuvor, die auch recht turbulent waren. Mehrere Kilometer vor dem Zaun habe ich von den Busfahrern die Info bekommen, dass nur noch Menschen mit besonderem Ausweis sich da aufhalten dürfen. Also fuhr ich wieder zurück. Auf dem Weg sah ich an mehreren Kreuzungen Polizeisperren mit Räumpanzern und Wasserwerfern.

Als ich mit einem Fotokollegen telefonierte, berichtete dieser, dass auf der Demo für globale Bewegungsfreiheit sich mehrere tausend Demonstranten eingefunden haben. Auch die Polizei war massiv mit Einsatzkräften vor Ort. Also machte ich mich schnell dahin. Kurz vor der Auftaktkundgebung sah ich schon vier Wasserwerfer stehen und drei Räumfahrzeuge. Die Polizei versuchte, mit mehreren Hundertschaften die große Anzahl von Demonstranten einzukesseln. Vor dem Demozug wurde angestrengt verhandelt. Die Polizei wirkte sehr gestresst. Die Stimmung in der Menge aber war gut. Keiner wusste so recht, was passieren würde. Von überall strömte die Polizei herbei. Zwischen den Verhandlungen tauchte der Nacktblock auf. Die Presse stürzte sich sofort auf diese. Beim Fotografieren wurde gestoßen und geschoben. Ich kam mir kurz vor, als ob ich bei einer Oscarverleihung auf dem roten Teppich wäre. Dann ging alles schnell. Die Polizei zog die Wasserwerfer zurück, um Platz für die Demonstranten zu machen. Die Demonstration konnte starten. Den ganzen Demozug über, begleitete die Polizei die Demoteilnehmer im engen Spalier. Es waren bis zu 7000 Menschen auf den Beinen. Kurz vor der Innenstadt musste der Demozug stoppen, denn die Polizei versperrte mit Wasserwerfern und Hundertschaften den Weg. Diese weigerte sich, die Demonstration durch die Stadt ziehen zu lassen. Es wurde wieder verhandelt, aber es blieb ergebnislos. Die Demonstration sollte sich dann später auflösen. Die Polizei hatte wahrscheinlich Angst, dass die Vorkommnisse von Samstag sich noch mal wiederholen würden. Bei den Demoteilnehmern gab es vor der Demo eine klare Absprache, es soll alles friedlich bleiben, auch wenn die Polizei provozieren sollte. Unter dem Motto der Demonstration „Globale Bewegungsfreiheit“ waren auch mehrere Flüchtlinge, die mit Transparenten auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam machen wollten.

Nachdem ich meine Bilder verschickt hatte, machte ich mir Gedanken, wie ich wohl Dienstag-Nachmittag nach Laage zur Ankunft von Bush komme. Soweit ich wusste, wurde mit Sammelbussen und Privat-Pkw gefahren. Das wollte ich aber nicht, da Mensch sehr schnell in Kontrollen kommen kann, und die Polizei die Fahrzeuge locker festhalten könnte. Also musste ich mir was anderes einfallen lassen. Dieses entschied ich aber am nächsten Tag. Denn zu diesem Zeitpunkt war ich zu müde, um irgend eine Entscheidung zu fällen.

Am 5. Juni ging es nach Warnemünde zur Friedensdemonstration „Gegen Krieg und Folter„. An der Bahnhaltestelle Warnemünde-Werft wurden die Demonstranten wieder von der Polizei aufgehalten. Die Polizei führte bei jedem einzelnen Teilnehmer Kontrollen durch. Als das geschehen war, versammelten sich die Menschen am Kundgebungsplatz. Dort war eine Gruppe in orangefarbenen Overalls mit Schildern an Brust und Rücken, die auf Krieg und Folter hinwiesen. Die Gruppe lies sich Zeit, damit Pressevertreter Fotos davon machen konnten. Zu dieser Zeit war es sehr ruhig. Man konnte nur das Klicken der Kameras hören. Eigentlich war es eine sehr nachdenkliche Stimmung. Später formierte sich der Demonstrationszug, um zu starten. Als es losging, wollte ein Pressemensch erneut Fotos von den Menschen in Overalls machen und stellte sich denen in den Weg. Ein Ordner versuchte höflich, dem Fotografen zu erklären, dass er gerade stört. Dieser reagierte aber verbal aggressiv. Für mich war dies unverständlich, denn die „Orangene“ Gruppe hatte sich für die Fotografen ausgiebig Zeit genommen. Auch unter Fotografen gibt es Idioten, die nichts verstehen - dachte ich mir.

Die Demonstration ging durch Warnemünde und endete am Bahnhof. Es gab keine Zwischenfälle.

Für mich aber war der Tag noch lange nicht zu Ende. Und das Problem, wie ich wohl nach Laage komme, war noch da. Fast hätte ich mich entschlossen das Risiko einzugehen, in einem Sammelbus zu fahren und unzählige Kontrollen über mich ergehen zu lassen. Dann telefonierte ich mit einem befreundeten Fotografen, der auch Bilder von Gegendemonstranten vor Laage machen wollte. Er sagte mir, dass er soeben ein Auto auftreiben konnte und noch ein Platz frei wäre. Ich sollte mich aber beeilen. Ich setzte mich in den Zug und konnte noch rechtzeitig am Treffpunkt sein. Wir fuhren sofort los, um pünktlich in Weitendorf vor dem Flughafen Laage zu sein, wo sich die Demonstranten einfanden. Auf dem Weg dorthin konnte ich beobachten, welche Repressalien die Gegendemonstranten auf sich nahmen. Ich sah mehrmals Autos, die von der Polizei auseinander genommen wurden. Dann, wie Menschen auf Gehsteigen lagen mit Händen über dem Kopf. Dahinter standen die Polizisten. Dann konnte ich sehen, dass auch die Bundeswehr Kontrollen durchführte. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich von diesen Vorfällen keine Fotos gemacht habe. Später fing es noch zu regnen an. Und überall waren noch Demonstranten zu Fuß unterwegs. In Weitendorf angekommen war alles unspektakulär. Die Polizei sperrte den Weg mit Gittern ab. Mensch stand dahinter und wartete auf die Ankunft von Bush. Dabei regnete es ständig und man konnte nichts sehen. Um vor das Absperrgitter zu gelangen, musste ich meinen Presseausweis zeigen. Eine Polizistin akzeptierte meinen aber nicht. Also versuchte ich es an einem anderen Punkt. Als mich da ein Polizist ansprechen wollte, zeigte ich ihm meinen Ausweis und fing sofort an zu Fotografieren, so das er mich durchließ. Als wir unsere Bilder gemacht hatten, sind wir wieder zurück gefahren. Auf der Rückfahrt konnten wir ständig noch ankommende Demonstranten sehen, die zu Fuß unterwegs waren. Dann wurden wir von der Polizei gestoppt. Die Straße nach Rostock war gesperrt. Auf die Frage wie lange, wussten die Beamten keine Antwort. Also versuchten wir eine andere Straße zu finden. Wir sahen, dass die komplette Autobahn gesperrt war. Überall stand Bundeswehr und Polizei. Dann haben wir ein Flugzeug gesehen. Es war die Airforce One von Präsident Bush, die zur Landung ansetzte. Am nächsten Kontrollpunkt der Polizei wurden wir durchgelassen. Endlich konnten wir weiterfahren. Im Camp Rostock angekommen, war ich froh, in meinen Schlafsack zu kriechen um ein bisschen Schlaf zu finden. Denn am anderen Tag gingen schon früh die Blockade-Aktionen los.

Der 6. Juni stand unter dem Motto „Block G8„. Die Blockadeteilnehmer trafen sich an verschiedenen Punkten. Ich schloss mich den Teilnehmern an, die sich in Admannshagen versammelten. Bis alle Globalisierungsgegner sich am Sportplatz versammelt hatten, verging etwas Zeit. Die Stimmung war sehr gut. Auch das Wetter war sehr schön und warm. Die Menschen ruhten sich aus oder spielten Fußball. Ich fragte mich, wann es denn los ginge und was wohl passieren würde. Manche der Demonstranten fragten sich auch, wie sie die Polizei, die massiv vor Ort war, umgehen sollten. Es waren auch Leute da, die Erfahrung von Wendland- und Brokdorf-Blockaden hatten. Diese meinten, dass das kein Problem wäre an diesem Ort. Ich ließ mich überraschen. Dann war auf einmal Aufbruch Stimmung. Auch die Polizei geriet in Hektik. Die Blockadeteilnehmer breiteten sich aus, um die Hundertschaften zu entfächern und Lücken entstehen zu lassen. Und das ging sehr schnell von statten. Die Polizei hatte keine Zeit zu reagieren. Schon waren mehrere Hundert G8-Gegner in den Feldern. Schließlich gab die Polizei nach Verfolgungsversuchen in den Weizenfeldern an diesem Punkt auf und ließ diese ziehen. Die Weizenfelder ragten den Demonstranten bis zu Brust. Ich dachte mir, dass dieses nur ein kurzes Stück so geht. Aber dass das so den ganzen Tag ginge, konnte ich mir nicht vorstellen. Da lag ich aber mächtig falsch. Also folgte ich den Demonstranten in den Feldern. Es wurde immer wärmer an diesen Tag. Ich blickte hinter mich und sah unzählig viele Menschen die in einer oder zwei riesigen Schlangen sich durch die Felder bewegten. Die Polizei folgte uns an der daneben liegende Straße. Zwischendurch machte ich Fotos von diesen Ereignissen. Dann hörte ich Hubschraubergeräusche. Als ich nach oben blickte, sah ich erst einen dann mehrere Mannschaftshubschrauber der Polizei am Himmel. Einmal zählte ich bis zu acht. Den G8-Gegnern war klar, was passieren wird, ließen sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Es war schon eine unheimliche Stimmung, die vielen Hubschrauber zu sehen und zu wissen, dass da mehrere Polizisten abgesetzt werden, um sich den Demonstranten in den Weg zu stellen und diese an ihrem Vorhaben zu hindern. Schon an der ersten Querstraße, die es zu überwinden galt, war ein

Großaufgebot von Polizei zu sehen. Mehrere Wasserwerfer und Räumpanzer säumten die Straße. Hinzu kamen die Hundertschaften, die noch zusätzlich von den Hubschraubern angeflogen wurden. Trotz des martialischen Auftretens der Polizei und deren Provokation blieben die Demonstranten ruhig und friedlich. Ich konnte erkennen, dass viel Polizei aus Bayern eingesetzt war. Die Globalisierungsgegner verteilten sich, um alles in die Breite zu ziehen. So wurde es unübersichtlich für die Polizei und es entstanden wieder Lücken. Davor versuchten per Luft eingesetzte Einheiten die Menschen in den Feldern daran zu hindern über die Straße zu kommen. Die Polizei hetzte durch die Felder, auch mit Hundeeinheiten, um alles in den Griff zu bekommen. Ebenso wurden Wasserwerfer und Tränengas gegen friedliche Demonstranten eingesetzt. Eine Gruppe von ca. 60 G8-Gegnern wurde von der Polizei eingekesselt. Doch die große Masse der Gipfelgegner konnte die Straße überwinden. Danach wurde sich neu formiert, und der lange Fußmarsch durch hohe Weizenfelder ging weiter bis zur nächsten Straße. Dazwischen erkannte ich, dass die Gewalt eindeutig von der Polizei ausging. Dies zog sich bis zu dem erreichten Blockadepunkt.

An der zweiten Straße war es ähnlich. Wasserwerfer und Räumpanzer standen neben den Hundertschaften. Auch da wurde die Polizei gewalttätig. Es gab keine Anzeichen von Seiten der G8-Gegner, dass diese zur Gewalt greifen würden. Nach Wasserwerfereinsatz gab es auch an mehreren Stellen Knüppeleinsätze. Eine Gruppe von Demonstranten versuchte kurz, die Straße durch eine friedliche Sitzblockade zu besetzen. Diese wurde aber schnell mit Wasserwerfern und einer USK-Einheit aggressiv geräumt. Aber die Masse der G8-Gegnern war groß, dass auch diese Straße überquert wurde.

Ich konnte Fotos von den Übergriffen der Polizei machen. Neben mir waren auch andere Fotografen, die alles mitverfolgen konnten. Manch Demonstrant war froh, dass die Presse dabei war, um diese Gewalttätigkeiten der Polizei zu dokumentieren.

An der dritten Straße wurde es auch für uns Fotografen und Journalisten schwierig. Die Polizei versuchte, uns zu hindern, die Straßen zu überqueren. Für Fotografen, wie mich, die keine Akkreditierung hatten oder freie Journalisten waren, war es besonders schwer. Wie auch die Demonstranten versuchten wir, die Lücken zu finden, um auf oder über die Straße zu kommen – und dabei noch zu fotografieren und zu dokumentieren. An dieser Straße gab es zwei Sitzblockaden. Die Polizei war zu diesem Zeitpunkt sehr aggressiv. Die erste Sitzblockade wurde äußerst brutal geräumt. Zuerst wurde von einer Hundertschaft an den Menschen gezogen. Danach wurde Pfefferspray verwendet. Als das nicht geholfen hat, wurde der Wasserwerfer eingesetzt. Als das geschehen war, versuchte die Hundertschaft mit Schlägen und Knüppeln gegen die friedliche Sitzblockade vorzugehen. Dann kam eine USK-Einheit und machte kurzen Prozess und räumte die Blockade. Es gab darauf hin Festnahmen. Bei der zweiten Sitzblockade ging die Polizei gleich mit Wasserwerfer und USK-Einheit auf die Blockierenden los. Auch diese wurde brutal geräumt.

Aber auch diese Straße wurde nach den vielen Angriffen der Polizei überwunden. Der Marsch durch die Felder ging also weiter. Trotz aller Strapazen, wie Wasserwerfer, Tränengas, Knüppel, Pfefferspray und Hitze, war die Stimmung unter den G8-Gegnern sehr gut, was mich schwer beeindruckt hat. Es wurde unterwegs gesungen und gelacht. Und dennoch blieb alles friedlich, obwohl die Polizei gegen die Gipfelgegner äußerst brutal vorging.

Als die Felder nicht mehr so hoch waren, legten wir die erste Rast ein. Langsam konnte man die Erschöpfung erkennen. Und es war gut, eine Pause einzulegen. Die Menschen teilten sich das Essen und Trinken. Danach liefen wir weiter und die Weizenfelder waren wieder brusthoch. Nach längerem Fußmarsch konnte man Börgerende erkennen. Dann tauchte die Polizei auf und versuchte, einen Keil durch die Demonstranten in den Feldern zu treiben, in dem sie mit Hundertschaften in die Felder lief. Also gingen die G8-Gegner auf Börgerende zu und blockierten die große Zufahrtsstraße. Das Blockadeziel war erreicht. Die Polizei machte auch keine Anstrengung, dieses zu räumen. So wie es aussah, blieb der Punkt blockiert. Dann kam eine Durchsage von einem Demonstranten, dass soeben mitgeteilt wurde, dass alle Punkte blockiert wurden und dass die Delegierten von Heiligendamm nur noch über Wasser und zu Luft transportiert werden könnten. Es gab ein riesigen Beifall und Aufschrei. Alles jubelte. Der große Verlierer an diesem Tag war die Polizei - nach langer Vorbereitung auf diesen Termin zu versagen. Dass es Demonstranten mit friedlichen Mitteln gelungen war, alle Blockadepunkte zu erreichen. Das war nicht nur meine Meinung, sondern auch die Meinung vieler anderer Pressevertreter.

Nachdem ich meine Bilder gemacht hatte, versuchte ich dann nach Rostock zu kommen, um meine aktuellen Fotos zur Arbeiterfotografie zu schicken. Da es mitten auf dem Land war und kein Bus mehr fuhr, weil nur noch Polizei zu sehen war, versuchte ich es auf alt bewährte Art - mit Trampen. Als ein paar Autos an mir vorbeigefahren waren, hielt dann endlich ein Auto. Es waren zwei freundliche Frauen aus München, die mich mitgenahmen. Mit Münchner Gemütlichkeit fuhren sie mich zur nächsten Bahnstation. In Rostock angekommen, verschickte ich gleich meine Bilder aus einem Internet Cafe. Nach den ganzen Anstrengungen gönnte ich mir in einem Bistro einen Kaffee und relaxte ein wenig. Danach wollte ich locker im Camp duschen und essen. Als ich dort ankam, war das Camp Rostock von der Polizei umstellt. Sie hatte vor, in das Camp zu gehen und es zu durchsuchen. Nach zähen Verhandlungen wurde das nicht durchgeführt. Die Polizei blieb aber vor Ort und überprüfte ankommende Demonstranten. Zur späten Stunde rückte die Polizei dann ab.

Da ich ziemlich erschöpft von der Woche war, entschloss ich mich, am nächsten Tag nach Hause zu fahren.

Aus fotografischer Sicht war die Woche sehr ereignisreich und interessant - von Krawallen bis hin zu friedlichen Blockaden. Viele gute Demonstrationen, die mich zum Nachdenken angeregt haben.