Berlin, 9.4.2007 - OstermarschBilder

Alternativlos?

Rede von Manfred Wekwerth zum Abschluß des Berliner Ostermarsches

"Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist noch fast geringer. Die Beschreibung, die der New Yorker von den Greueln der ersten abgeworfenen Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Deutsche, noch umringt von Ruinen, zögerten die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre erscheinen schnell vergessen. Der Regen von gestern macht mich nicht naß, sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden"

Diesen Text schrieb Brecht 1952. Wer konnte ahnen, dass er 50 Jahre später seine furchtbare Gültigkeit wieder erlangt. Gnadenlose Kriege um Öl und Gas, Märkte und Handelszonen, um Umsatz und Absatz, Gewinne und Surplusgewinne sind wieder an der Tagesordnung. Diese Kriege aber werden heute von einem noch ganz anderen Krieg begleitet: dem Krieg der Mächtigen gegen die Wahrheit. Unaufhörliches Verbreiten von Unwahrheiten soll die Menschen dazu bringen, das Unfassliche als Normalität hinzunehmen. Kriege seien wie Naturereignisse, sie kommen und gehen wie der Wechsel des Wetters oder der Wechsel der Jahreszeiten. Man kann das bedauern, aber man kann das nicht ändern. Darum heißen Kriege heute auch nicht mehr Kriege, sondern "Sanktionen zur Friedensgewinnung" oder Präventivschläge zur Bewahrung westlicher Werte" oder einfach "Kampf gegen Terrorismus". Überfälle auf andere Länder, einst Angriffskriege genannt, heißen, da Angriffskriege von der UNO-Charta und dem Grundgesetz strengstens verboten sind, "punktuelle Militäreinsätze gegen Verletzung der Menschenrechte". Und Besatzungsregime, die man errichtet, sind dann lediglich Hilfeleistungen bei der Einführung der Demokratie und beim Brunnenbau. Und immer geht es um Freiheit, um jene "enduring freedom", was wohl am besten mit "Freiheit zur Endlösung" zu übersetzen ist und zwar Endlösung weltweit. Denn Terrorismus droht immer und überall. Da man die Terroristen im einzelnen nicht kennt, muß man sie suchen. Zu diesem Zweck schickte der Deutsche Bundestag gegen den Willen von 77 % der Deutschen deutsche Kampfflugzeuge in die umkämpften Gebiete, um sie landschaftlich aufzuklären. Und fallen Bomben auf die aufgeklärte Landschaft , sind unsere Flieger längst wohlbehalten in ihre Luftwaffenbasis im friedlichen Norden zurückgekehrt. Sicher, es sterben auch Zivilisten, im Irak sind es inzwischen 650.00. Doch das ist unvermeidlich, wie eben auch beim Hobeln Späne fallen. Woher sollen die Bomberpiloten wissen, ob sich nicht unter den Zivilisten Terroristen aufhalten? Auch das Mittelalter ist zurückgekehrt. Aber was damals Folter hieß, mit der man Geständnisse erpresste, heißt heute im militärischen Dienstgebrauch "Manipulation des Befragungsumfeldes". Und es waren Sachzwänge, die deutsche Unternehmen veranlassten, einem Despoten, die sie heute natürlich verteufeln, Giftgas zu liefern, da im globalen Wettbewerb sonst die Konkurrenz das Gas geliefert hätte. Wenn deutsche Konzerne, Weltmeister im Export, auch Weltmeister im exportieren von Waffen in die Kriegsgebiete sind, so um Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen und sei es um Billiglohn. Denn allen geht es nur um den "Standort Deutschland", was nur ein anderer Ausdruck für "deutsche Heimat sei, so wie "Sachzwang" heute das ist, was man früher Schicksal nannte. Sang man einst zu Kaisers Zeiten von der "Wacht am Rhein", die fest und treu steht, damit das deutsche Vaterland ruhig schlafen kann, sind es heute "unsere Jungs", die Deutschland am Hindukush verteidigen, damit es weiter schlafen kann. Doch genug davon.

Dieser, wie Ernst Bloch sagen würde, "reale Nebel", der sich da tagein tagaus verklärend über die Gehirne der Menschen legt, hat einen klaren Zweck: die Menschen an Barbarei zu gewöhnen. Sie können sie bedauern, sie können dagegen protestieren, ja sie mögen und sei es zu Ostern, dagegen demonstrieren, verändern könne man es nicht. Versuche man es trotzdem, führe das – wie die Vergangenheit zeige nur zur Verschlechterung. Denn selbst die fehlende Arbeitslosigkeit in dem untergegangenen deutschen Staat war – wie einer renommierten Wirtschaftszeitschrift zu entnehmen ist, nichts als Ausdruck verordneter Unfreiheit, da die Stasi die Vollbeschäftigung rücksichtslos erzwang. Also Hände weg! Es gibt ja genug andere Möglichkeiten, ein bewegtes Leben zu führen. Da sind Billigflüge und Aldi-Reisen, da sind Gottschalk und Beckmann, Christiansen nicht zu vergessen. Und da ist die totale Spaßgesellschaft. Ihre Events sollen vor allem vergessen machen, dass auch eine andere Welt möglich ist.

So heißt die heute bei den Mächtigen so beliebte und für die Leute so gefährliche Zauberformel, von Bildschirm und Kanzel verkündet wie eine neue Religion: TINA, erfundeneinst von Margret Thatcher, setzt es sich aus den Worten zusammen: THERE IS NO ALTERNATIVE.

Ob die Telecom trotz bejubelten "Anspringen der Konjunktur" 5000, das Volkswagenwerk 6000, Daimler-Chrysler 13000 und Airbus 20000 Arbeitsplätze streicht; ob die Deutsche Bahn, um sich für den Börsengang fit zu machen, die Zahl der Hochgeschwindigkeitszüge erhöht und dafür durch "Verschlankung" im Nahverkehr ganze Gegenden lahm legt; ob der Bundestag, obwohl es für Arbeitsuchende über 50 keine Arbeit gibt, wiederum gegen den Willen von 2/3 der Bevölkerung die Lebens-Arbeitszeit von 65 auf 67 heraufsetzt – beri allen Unternehmungen findet man das kleine Wörtchen "alternativlos". In seiner Harmlosigkeit lässt es vergessen, dass damit ganze Zeitalter der Menschheit rückgängig gemacht werden. Denn der Mensch wurde nur zum Menschen, in dem er Alternativen, die es immer und überall gibt, erkennt und nützt. Verkündend das Ende aller Ideologie, ist die Behauptung der Alternativlosigkeit selbst die größte aller Ideologien, denn sie behauptet nichts Geringeres als das Ende der Geschichte. Die Entwicklung sei die mit der heutigen Gesellschaft auf ihrem Höhepunkt angekommen. Man deklariert Stillstand, um die Geschäfte des Kapitals um so wilder zu betreiben. Wo vom ende des Klassenkampfes die Rede ist, kann man sicher sein, dass man ihn um so brutaler zu führen wünscht. Auch Kriege um Rohstoffe und Absatzmärkte lassen sich um so erbarmungsloser führen, je mehr man sie zum natürlichen Teil der Schöpfung erklärt. Kriege gäbe es eben, solange es Menschen gibt. Und bringen Kriege viele Menschen ins Unglück, dann ist eben auch das Unglück alternativlos.

1948 kam ein junger Zuschauer, der "Mutter Courage" gesehen hatte, zu Brecht und fragte, warum selbst Leute, denen der Krieg Unglück gebracht hat, so wenig über Krieg gelernt hätten. Brechts antwort:

"Im Kapitalismus ist es ungeheuer schwierig für den einzelnen einzusehen, dass der Krieg nicht nötig ist, denn im Kapitalismus ist er nötig, nämlich für den Kapitalismus. Dieses Wirtschaftssystem beruht auf dem kampf aller gegen alle, der Großen gegen die Großen, der Großen gegen die Kleinen, der kleinen gegen die Kleinen. Man muß schon erkennen, dass der Kapitalismus ein Unglück ist, um zu erkennen, der Unglückbringende schlecht, d.h. unnötig ist. Kampf um Frieden ist Kampf gegen Kapitalismus."

Ich weiß, ich bin bei einem heiklen Thema angekommen: der Kapitalismuskritik. Wie schnell wird man heute dafür vom Verfassungsschutz als Verfassungsfeind beobachtet. Allein schon der Gedanke an Vergesellschaftung von Produktionsmitteln reicht, wie wir sahen, dass selbst die Rechtssprechung, nach der vor dem Gesetz alle gleich sind, nur für den gilt, der sich zum kapitaalistischen Wirtschaftssystem bekennt. Ich glaube, dem Verfassungsschutz muß zu unserer aller Sicherheit dringend der Hinweis gegeben werden,auch die Verfassung auf Verfassungstreue hin zu beobachten. Denn im Grundgesetz, Art. 15 steht: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum und in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Noch verdächtiger erschient mir ein anderer Text zu sein , und auch er sollte beobachtet werden, Denn da steht sogar: " Das kapitalistische Wirtschaftssystem isdt den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Inhalt und Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistischre Gewinn- und Machtstreben sein." Das stammt nicht von Marx, auch nicht von Brecht, nicht einmal von Christian Klar, sondern von der CDU. Die christlichen Demokraten schrieben diesen Text 1947 in ihr Grundsatzprogramm, das man heute noch leicht unter www.ahlenerprogramm.de im Internet einsehen kann.

Doch zurück zu Brecht. Von ihm gibt es einen Text, der mir gut zum Abschluß des diesjährigen Ostermarsches zu passen scheint. Er entstammt dem Gedicht >LOB DER DIALEKTIK UND ER ENTHÄLT Vorschläge, wie man trotz auftretender Ermüddung und verständlichem Zweifel und grotz mancher Niederlage Wissen, Kraft, Hoffnung und Lust findet, um mit dem täglichen Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Erde nie aufzuhören. Es sit nur ein Satz: WER SEINE LAGE ERKANNT HAT; WIE SOLL DER AUFZUHALTEN SEIN!


Eine andere Welt ist möglich!

Rede von Klaus-Dieter Heiser zum Auftakt, Unter den Linden

"Ostermärsche sind nicht mehr zeitgemäß" – so war von manchen Politikern, insbesondere der Grünen in diesen Tagen zu hören und zu lesen. Stimmt das?

Als der erste Ostermarsch 1958 von London vor dem Atomforschungszentrum Aldermaston abgeschlossen wurde, beschlossen die Teilnehmer wiederzukommen, bis die Forderung nach Abschaffung der Atomwaffen in West und Ost durchgesetzt ist. Diese Idee wurde bei vielen Ostermärschen aufgegriffen, hier in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Von diesem Ziel sind wir aber noch weit entfernt.

Ostern vor 40 Jahren zog der 1. Berliner Ostermarsch quer durch Westberlin. Vom Rathaus Neukölln an der Karl-Marx-Straße – durch Kreuzberg – durch Schöneberg – nach Wilmersdorf.

Wer waren die Teilnehmer und Organisatoren des 1. Berliner Ostermarsches?

Wir kamen aus der Gewerkschaftsjugend, aus sozialistischen Jugendverbänden, vom SDS, vom Sozialdemokratischen Hochschulbund, von der Evangelischen Studentengemeinde, aus der Evangelischen Jugend, von den Quäkern, von der VVN – viele schlossen sich an, die keiner Organisation angehörten.

Beim Ostermarsch 1967 ging der Kern des Bündnisses auf die Straße, das später APO genannt wurde – oder mit dem Namen 68er eine Generation prägen sollte.

"Ostermärsche sind einseitig und undifferenziert". Auch dieser Vorwurf hat einen langen Bart. Er wurde bereits 1967 erhoben, verbunden mit der Behauptung, in Berlin, an der Frontlinie im Kalten Krieg der Blöcke, dürfe es keinen Ostermarsch geben. Wir haben darauf geantwortet: Gerade hier, an der Nahtstelle von Ost und West müsse es eine Friedensbewegung, müsse es einen Ostermarsch geben:

"Für Abrüstung der Atomwaffen in West und Ost – für den Atomwaffensperrvertrag".

Mit dem Atomwaffensperrvertrag, der 1 Jahr später unterschrieben wurde, verpflichteten sich die so genannten fünf offiziellen Atommächte eine vollständige Abrüstung ihrer Atomwaffen unter internationaler Aufsicht vertraglich zu vereinbaren. Die Kenntnisse und Technologien der atomaren Rüstung sollten nicht weitergegeben werden. Weitere Unterzeichnerstaaten sollten sich verpflichten, keine Atomwaffen zu entwickeln.

Diese Forderungen sind noch immer aktuell. Die damaligen Atommächte USA, England, Frankreich, Sowjetunion (heute Russland) und China haben ihre Verpflichtungen zur atomaren Abrüstung bis heute nicht erfüllt und wir erleben in diesen Tagen, dass sie ihr atomares Potential für die Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen. Stichwort: Iran.

"Ostermärsche sind einseitig und undifferenziert" – dieser Vorwurf galt auch der zweiten Forderung des Ostermarsches 1967: "Schluss mit dem Krieg der USA gegen Vietnam!"

Die Regierenden in Bonn und Westberlin standen im engen Schulterschluss mit den USA und deren Politik. Sie behaupteten: "Die Freiheit Westberlins wird in Saigon verteidigt". Der Springer-Konzern, der mit seinen Zeitungen den Kalten Krieg anheizte, schickte den Familien in Vietnam gefallener GI's Nachbildungen der Freiheitsglocke aus dem Schöneberger Rathaus. Die Ostermarschierer von 1967 wussten, das ist eine Lüge – eine Kriegslüge!

Wir hatten vor dem Ostermarsch 1967 lange diskutiert, mit welcher Forderung zum Vietnam-Krieg wir auf die Straße gehen sollten. "Frieden für Vietnam" war ein – sicherlich richtiger – Vorschlag. Wir haben uns aber dazu entschlossen, deutlicher zu sagen, was in Vietnam passiert und den Krieg der USA beim Namen zu nennen. Das war notwendig, um auch aus Berlin einen Beitrag der Solidarität zu leisten, der dem vietnamesischen Volk in den 70er Jahren Frieden brachte.

Heute behaupten die Regierenden wiederum, dass die Freiheit dieses Landes irgendwo verteidigt werde. Heute ist es der Hindukusch. Damit werden Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, wird die Beteiligung am so genannten Krieg gegen den Terror gerechtfertigt. Was vor 40 Jahren eine Kriegslüge war – ist es auch heute. Und auch heute stellt sich die Frage, an wessen Seite bezieht die Friedensbewegung Position: in Afghanistan, im Irak, im Nahen Osten. Sie ist heute mit den Forderungen verbunden: "Keine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den weltweit geführten Kriegen der USA!" – Rückzug der deutschen Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan und von den anderen Einsatzpunkten.

Sind also Osteraktionen der Friedensbewegung noch zeitgemäß? Ja, sie sind es, weil sie die Forderungen nach Frieden und Abrüstung wach halten. Weil sie Menschen unterschiedlicher politischer und weltanschaulicher Meinungen in der gemeinsamen Aktion zusammenführen.

Die Haare der Ostermarschierer von 1967 sind inzwischen etwas grauer geworden und manche sind nicht mehr so gut zu Fuß wie vor 40 Jahren. Aber wir sind nicht lahm geworden. Im Juni dieses Jahres treffen sich die Regierenden der wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Länder zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Die Bundesregierung weiß, wer zum Gipfel der Ungerechtigkeit einlädt – lädt auch den internationalen Protest dagegen ein. Ich habe gerade mein Ticket zur Busfahrt zur internationalen Protestdemonstration in Rostock am 2. Juni bestellt. Seid mit dabei – eine andere Welt ist möglich! Eine Welt des Friedens, der Demokratie, der Arbeit und der sozialen Gerechtigkeit.