Köln, 27.1.2007 - Demonstration anläßlich der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant DinkBilder

Andenken an Hrant Dink

Von Sandy Zurikoglu Erdogan (Mitarbeiterin der armenisch-türkischen Zeitung Agos)

Am 19. Januar 2007 wurde der armenisch-türkische Journalist Hrant Dink auf offener Strasse erschossen. Er war nicht der erste Journalist, der wegen seiner Äußerungen für immer schweigen sollte. Wahrscheinlich wird er auch nicht der letzte sein. Die Türkei, meine Heimat, gibt gerne ihre besten Kinder weg wie Kleingeld.

Hrant Dink war nicht wertvoller als Ugur Mumcu oder Abdi lpekci oder Ahmet Taner Kislali. Auch sie wurden wie Dink, türkische Journalisten, die auf offener Strasse ermordet wurden. In Türkischen Medien las ich, dass Dink der 62. Journalist war, der für seine Meinung sterben sollte. Hrant Dink war aber der einzige, der so offensichtlich sowohl von den Medien als auch von Einzelpersonen bedroht wurde. Er musste zigfach vor Gericht stehen. Jedes mal war er von einer gewaltbereiten Menschenmenge umgeben. Er litt unter der Aggression dieser Menschen, den Grauen Wölfen - den Faschisten in unserer Heimat.

Häufige, anonyme oder staatliche Drohungen, wie "Du wirst die Leiche deines Sohnes auf einem Müllhaufen finden." haben ihn zutiefst erschüttert. Sein Sohn hatte ihm ein Enkelkind geschenkt, das inzwischen zwei Jahre alt ist.

AM GRAB
Der Enkel, sehr klein
und gar nicht richtig traurig,
er harkt die Erde über Opa.
Langsam, nicht zu sanft,
vor allem gleichmäßig, so
hat es Großvater immer gern.
Wenn er seinen Rücken kratzt.
Und manchmal, mit dem kleinen Finger,
kitzelt Enkel seinen Opa. So wie immer.
(Von Lutz Rathenow: "Die Fünfzig", Landpresse)

Hrant Dink lebte gerne, sein Lachen war laut und bleibt unvergesslich.


Türkisch-armenischer Journalist erschossen

'junge Welt' vom 20.1.2007

In Istanbul ist ein armenischstämmiger Journalist auf offener Straße erschossen worden. Hrant Dink sei am Freitag vor seinem Büro getötet worden, sagte ein Mitarbeiter der Wochenzeitung Agos, deren Herausgeber Dink war. Nach einem Bericht des Nachrichtensenders NTV feuerte ein unbekannter Angreifer mehrere Schüsse auf den 53jährigen ab. Dink hatte sich den Zorn nationalistischer Kreise zugezogen, weil er die Massaker an Armeniern während des Ersten Weltkriegs im damaligen Osmanischen Reich mehrfach als Völkermord bezeichnet hatte. Wegen dieser Äußerungen mußte sich Dink auch mehrfach vor Gericht verantworten.

Quelle: jungewelt.de


»Wir alle sind Armenier«

Nick Brauns in 'junge Welt' vom 22.1.2007

Ankara/Istanbul. Der mutmaßliche Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink wurde gefaßt. Ein Jugendlicher ist am Sonnabend in einem Bus festgenommen worden, nachdem ihn sein Vater auf Aufnahmen einer Überwachungskamera identifiziert hatte. Der 17jährige Ogün S. aus der Schwarzmeerstadt Trabzon, einer Hochburg türkischer Nationalisten, gestand die Tat. Ein Freund von ihm, der bereits 2004 wegen eines Bombenanschlags verurteilt worden war, wurde ebenfalls festgenommen.

Der 53jährige Herausgeber der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, war am Freitag beim Verlassen des Redak­tionsbüros erschossen worden. Er galt als bekannteste Stimme der 80000 Armenier in der Türkei und Vorkämpfer für Meinungsfreiheit.

Nach der Bluttat demonstrierten Tausende Mitglieder der armenischen Gemeinde, Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten in Istanbul und Ankara. »Wir alle sind Armenier« und »Schulter an Schulter gegen den Faschismus«, skandierten die Menschen, und: »Der Staat ist der Mörder«. Zwar nannte die Regierung die Ermordung Dinks einen Anschlag auf die Einheit der Türkei. Doch trotz Morddrohungen durch türkische Nationalisten hatte der Journalist keinen Polizeischutz erhalten. Statt dessen wurde er wegen »Verunglimpfung des Türkentums« zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er den Genozid an den osmanischen Armeniern während des ersten Weltkrieges thematisiert hatte. Ein weiteres Verfahren sollte im März beginnen.

Die Ermordung Dinks fand vor dem Hintergrund eines nationalistisch aufgeladenen Wahlkampfes um das Amt des Staatspräsidenten statt, der im Mai bestimmt werden soll. Die islamische Regierungspartei AKP und die kemalistische Opposition CHP buhlen um die Stimmen des rechtsextremen Lagers.

Quelle: jungewelt.de


»Wir sind alle Türken!«

Nico Sandfuchs, Ankara, in 'junge Welt' vom 3.2.2007

Nach der Ermordung von Hrant Dink gewinnen nationalistische Parolen wieder die Oberhand

Als vergangene Woche der von einem Ultranationalisten ermordete armenischstämmige Türke Hrant Dink zu Grabe getragen wurde, hatten mehr als 100000 Menschen den Sarg begleitet und durch Transparente mit der Aufschrift »Wir sind alle Armenier« eindrucksvoll ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht. Der Trauerumzug war jedoch nicht nur ein Zeichen der Verbrüderung mit der armenischen Minderheit in der Türkei, sondern auch ein Protest gegen den in den letzten Jahren immer stärker anschwellenden extremen Nationalismus, dessen Dunstkreis Dinks Mörder angehören.

Unbeeindruckt von diesem Protest ist die politische Rechte in der Türkei inzwischen dazu übergegangen, ausgerechnet aus den Trauerbekundungen für Hrant Dink politisches Kapital schlagen zu wollen. »Was soll das heißen, ›Wir sind alle Armenier‹«, wetterte etwa der Vorsitzende der rechtsradikalen MHP, Devlet Bahceli. »Wir sind und bleiben Türken.« In vielen türkischen Fußballstadien geriet die Parole »Wir sind alle Türken« am vergangenen Wochenende zum Schlachtruf. Zahlreiche Fans trugen gar die gleiche Mütze wie die, welche der Mörder Hrant Dinks getragen hatte. Daß der Attentäter, ein Jugendlicher aus Trabzon, von manchen bereits als Volksheld gefeiert wird, hatten schon einige Polizisten unmittelbar nach dessen Festnahme bewiesen: Sie fotografierten ihn in Heldenpose vor der türkischen Nationalfahne.

Es ist zweifelhaft, ob die Teilnehmer an der Beerdigung Dinks die Mehrheit der türkischen Bevölkerung repräsentieren. Auch wenn die Ermordung politisch Andersdenkender von den meisten spontan abgelehnt werden mag, ist das Mißtrauen gegenüber den in einigen Schulbüchern noch immer als »gefährlich« gebrandmarkten kurdischen, armenischen, griechischen und christlichen Minderheiten weit verbreitet.

Auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verkündete jetzt, daß er sich an der »pauschalen Solidarisierung« mit den Armeniern gestört habe. Der Chef der sozialdemokratischen CHP, der größten Oppositionspartei, Deniz Baykal, erklärte gar den türkischen Nationalismus zum »Grundfundament der Republik«.

Um Erdogan aus dem Regierungssattel zu hebeln, wird in der CHP inzwischen laut über eine Koalition mit der rechtsradikalen MHP nachgedacht. Diese ist seit Wochen schon die einzige Partei, die in den Umfragen deutliche Zuwächse verbuchen konnte.

Quelle: jungewelt.de