Köln, 10.11.2005 - Aktion gegen Hartz IV und Ein-Euro-Jobs - 'Agenturschluß' zu Besuch bei 'Zug um Zug'Bilder

Neues von den Schmarotzern

Von Hans-Dieter Hey, Neue Rheinische Zeitung, 12.11.2005

Es gibt Zeiten, da geht manches schon mal durcheinander. Während in Frankreich Autos angezündet werden und die soziale Frage neu gestellt wird, regen sich in Deutschland einige über verbrannte Autos auf. Da ist das Denken über Ursache und Wirkung bei uns schon mal zu Ende. Oder es herrscht Verwechselung von Opfern und Tätern, wo die Opfer als Schmarotzer beschimpft werden.

Dabei gibt es auch hier für immer mehr Menschen existenzielle Bedrohungen, die politisch nicht gelöst werden. Außer durch Zwangsarbeit, Entrechtung, Erniedrigung Zerschlagung der Lohntarife und Sozialabbau. Das Arbeitslosengeld II ist eine solche Entrechtung. Nach Prof. R. Roth aus Frankfurt bleiben damit 4,23 Euro zum täglichen vegetieren. Der 1-Euro-Job als moderne Zwangsarbeit ist die nächste Entrechtung.

Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass das Lügengerüst der rot-grünen Politik von Hartz IV zusammengebrochen ist: Nach Untersuchungen der Stiftung Warentest hat bisher nur ein Drittel der Menschen unter 25 Jahren überhaupt ein Angebot für eine Qualifizierung erhalten, bei denen darüber sogar nur 18 %. Lediglich 10 % aller Jugendlichen haben ein Jobangebot bekommen, eben meist als 1-Euro-Job.

Dem auf die Spur zu kommen, hat sich die bundesweit agierende Kampagne "Agenturschluss" zur Aufgabe gemacht. Mit unangemeldeten Besuchen bei Einrichtungen, die diese moderne Zwangsarbeit unterstützen. Manchmal sind die Besuche auch unangenehm, nämlich für die Einrichtungen.

In der Florastraße 55-57 in Köln hat sich unter dem Namen "Netzwerk Soziale Dienste und ökologische Bildungsarbeit" eine Firma "Zug um Zug" eingenistet. Das hört sich erst mal gut an. Beschäftigt werden dort 69 Menschen in einer Holz- und Textilwerkstatt als so genannte 1-Euro-Jobber, denen man bessere Zeiten in Aussicht stellt. In die 1-Euro-Jobs wurden die meisten nach eigener Auskunft von der Kölner Arbeitsagentur gezwungen, unter Androhung der Kürzung des Arbeitslosengeldes II um 30 Prozent. Dann würden am Tag zum Leben 2,96 Euro bleiben. Das schafft keiner von ihnen. Zu viel zum Sterben.

In der Regel bleiben sie Ausgegrenzte in Deutschland im Jahr 2005 nach Christus, und wahrscheinlich auch noch danach. Grund genug für "Agenturschluss", am 10.11.05 nach dem Rechten zu schauen.

Äußerlich sieht es so aus, wie man sich eine schöne Firma vorstellt, in der man gern arbeitet. Doch drinnen ist alles anders. Die Bereitwilligkeit zur Auskunft ist vorhanden, doch die Stimmung ist gedrückt unter den vorwiegend jüngeren 1-Euro-Jobbern. Viele hatten sich das Leben sicher anders vorgestellt, als zum Dumpingpreis Polsterbezüge oder Gardinen, oder für Schulen Markisen zu nähen und Fenster zu produzieren. Nicht genug für ein schönes Leben. Und ohne richtige Berufsausbildung mit Perspektive für die Zukunft. Eine hübsche junge Frau wollte gern Frisörin werden. Aus der Traum!

Trotzdem muss hier professionell 40 Stunden die Woche gearbeitet werden, für ca. 3,50 Euro die Stunde. Dies entspricht dem Arbeitslosengeld II inklusive einer Aufwandsentschädigung von 0,70 - 1,30 Euro/Std. Bei dieser Differenzierung kann man die Auffassung vertreten, dass dies rechtswidrig ist. Denn warum sollte ein Jüngerer eine geringere Aufwandsentschädigung bekommen, als ein Älterer? Die Fahrtkosten sind die gleichen. Alles zusammen jedenfalls ein Hungerlohn. Moderne Zwangsarbeit eben. Und zum Nachteil der örtlichen Handwerksbetriebe, die dafür nichts herstellen können. So wird ein Teil dieser Mitarbeiter früher oder später auch bei den 1-Euro-Jobbern landen.

Einen Arbeitsvertrag gibt es nicht. Lohnfortzahlung auch nicht. Einer der Betroffenen hatte einen Wegeunfall und wurde eine Woche vom Arzt krank geschrieben. Dafür wurden ihm in diesem Monat 71 Euro abgezogen. Bleiben für Essen und Trinken ca. 3,40 Euro am Tag. Und kommt man mal zu spät, wird brutal das Geld gekürzt, auch das Arbeitslosengeld II. Diese Praxis wäre eindeutig rechtswidrig.

Bisher wurde die Miete der Teilnehmer von der Arbeitsagentur bis zum Ende des Montags gezahlt, das Arbeitslosengeld II aber von "Zug um Zug" am 10. eines Monats überwiesen. Existenzangst war bei den Betroffenen der Normalfall. Obwohl diese rechtswidrige Praxis sowohl der Arbeitsagentur wie auch "Zug um Zug" bekannt war, wurde sie noch ein halbes Jahr beibehalten. Bereits bei Besuchen anderer Einrichtungen waren rechtswidrige Auszahlungspraktiken aufgefallen und öffentlich gemacht worden. Danach wurden sie abgestellt. Ein Erfolg, den Agenturschluss gern für sich verbuchen kann.

Ein Teilnehmer hatte bereits eine 6-monatige Maßnahme, und wird jetzt in die nächste weitergereicht. Nach dem Gesetz kann eine weiterführende Maßnahme nur genehmigt werden, wenn im Anschluss Aussicht auf einen regulären Arbeitsplatz besteht. Der ist in absehbarer Zeit aber nicht in Sicht. Auch die vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Eingliederungsverträge mit der Arbeitsagentur existieren nach Auskunft der meisten Befragten nicht.

Dass dies alles keine Einzelbeispiele sind sondern gängige Praxis der Arbeitsagenturen mit Unerstützung der 1-Euro-Betriebe hat "Agenturschluss" längst bundesweit nachgewiesen. Für die betroffenen Menschen ein existenzbedrängender Dunst von Ungesetzlichkeiten und persönlichen Erniedrigungen.

Der Direktor der Kölner Arbeitsagentur, Ludwig, meinte schon im Mai diesen Jahres zu den Grauzonen von Hartz IV: "Das muss man sportlich sehen. Man kann ja Widerspruch einlegen." Die soziale Ausgrenzung als sportliche Übung! Das muss man erst mal verdauen.

Offensichtlich gab es bei "Zug um Zug" noch mehr zu verbergen. Eine der hauptamtlichen Leiterinnen wollte sich bereitwillig befragen lassen und bekam von ihrer Kollegin schnell einen Maulkorb verpasst. Und so kam dann auch der Ruf nach der Polizei. Das kann schon mal passieren, wenn von Sozialarbeiterinnen der Wunsch nach besseren Beschäftigungs- und Lebensbedingungen als höheres Recht mit dem Hausrecht verwechselt werden. Dabei ist nicht zu verkennen, dass der Beruf des Sozialarbeiters oder der Sozialarbeiterin von der Politik längst als Hilfs- und Ausbesserungsfunktion staatlicher Sanktionspolitik heruntergewirtschaftet wurde. Das war einmal ganz anders.

Die Befragung war zu Ende, jedenfalls fast. Doch da war noch der Mann mit vier Kindern, einiges über 40, der Kühlschrank hinüber. Einen neuen gibt es von der Arbeitsagentur nicht. Und zum Ansparen hat das Geld bisher nicht gereicht. Man sieht deutlich, dass er die Schnauze voll hat von diesem Land mit Sozialstaat. Er ringt sich ein Lächeln ab: "Gut dass ihr vorbei kommt. Solche Leute wie euch muss es geben!". Das freut "Agenturschluss" und bietet für sie Grund, weiter zu machen. Es gibt viel zu tun im Land der Ausgrenzung.