Berlin, 15.2.2005, Irak-Veranstaltung zu FalludschaBilder

Phosphor über Falludscha

Artikel von Rüdiger Göbel in junge Welt, 13.11.2004

Hunderte Iraker laut Pentagon bei Großoffensive bisher getötet. US-Presse berichtet über Chemiewaffeneinsatz. Erneut Krankenhäuser bombardiert

Die irakische Stadt Falludscha ist binnen Tagen in ein großes Totenhaus verwandelt worden. Aus einem Bericht der Washington Post geht hervor, daß die US-Armee bei ihrer »Operation Morgendämmerung« genannten Großoffensive auch Chemiewaffen einsetzt. Wie die US-Zeitung meldete, feuerte die Artillerie Granaten mit Weißem Phosphor auf die 300 000 Einwohner zählende Stadt ab. Dadurch sei eine Feuerwand entstanden, die mit Wasser nicht gelöscht werden konnte. Krankenhausarzt Kamal Hadeethi sagte gegenüber der Washington Post: »Ich habe zahlreiche Tote mit schweren Verbrennungen gesehen. Einige Leichen waren geschmolzen.« Auch andere Bewohner von Falludscha berichteten von gespenstischen Szenen: Im Bezirk Dscholan seien die Straßen mit Kratern übersät, überall lägen Leichen. An Hausmauern klebten Fleischfetzen.

Weißer Phosphor beginnt allein durch den Kontakt mit dem in der Luft enthaltenen Sauerstoff, mit einer Temperatur von 1 300 Grad Celsius zu brennen. Er ist die reaktionsstärkste Form des Phosphors und wurde bereits im Zweiten Weltkrieg unter anderem gegen deutsche Städte eingesetzt. Neben der Brandwirkung und den verheerenden Verletzungen, die Hautkontakt schon bei kleinen Mengen verursacht, ist der Stoff außerdem hoch giftig. Aufgrund der toxischen Wirkung des weißen Phosphors und des bei seiner Verbrennung entstehenden Rauchs ist dieser Stoff als Chemiewaffe einzustufen.

Nach Angaben der US-Armee in Falludscha wurden bis Donnerstag mehr als 500 Widerstandskämpfer getötet. Zudem seien 18 amerikanische Soldaten und fünf irakische Nationalgardisten getötet und mehrere hundert verletzt worden. Nach Medienberichten wurden mehr als 300 schwerverletzte Amerikaner allein in das US-Militärkrankenhaus Landstuhl in Rheinland-Pfalz ausgeflogen.

Über die Zahl ziviler Opfer werden von den Angreifern weiter keine Angaben gemacht. Augenzeugen in Falludscha berichteten von zahlreichen Leichen, die wegen der andauernden Kämpfe seit Tagen in den Straßen liegen. Verletzte Iraker, die zur Behandlung in ein Krankenhaus in Tikrit gebracht worden waren, berichteten, es gebe in Falludscha keine medizinische Versorgung mehr und kaum noch Wasser und Lebensmittel. Zwei der drei kleinen Krankenhäuser wurden von US-Kampfjets bombardiert. Neben dem dritten Krankenhaus ist ein US-Panzer postiert, berichtete ein irakischer Journalist. Die Einwohner hätten daher Angst, dort ihre Wunden versorgen zu lassen. »Denn die Amerikaner schießen auf alles, was sich bewegt.« Hunderte Männer, die vor den Kämpfen aus der Stadt fliehen wollten, wurden am Freitag von US-Soldaten zurückgetrieben.

In der irakischen Hauptstadt riefen derweil sunnitische Geistliche zum Generalstreik auf. Damit solle Druck auf die irakische Regierung ausgeübt werden, »das Massaker in der Stadt Falludscha« zu stoppen, erklärte Scheich Abdul Salam Al Kubaisi am Freitag in Bagdad. Der Streik soll am heutigen Samstag beginnen.

Quelle: www.jungewelt.de


Tsunami in Falludscha

Artikel von Dahr Jamail in junge Welt, 12.02.2005

Flüchtlinge erschossen, Krankenhäuser bombardiert, Propagandabilder für CNN - ein Arzt schildert seine Erlebnisse im besetzten Irak

Unter der Bedingung, anonym zu bleiben, schildert mir ein Arzt seine Erlebnisse aus der irakischen Stadt Falludscha. Wir sitzen in einem Hotelzimmer in Amman, wo er jetzt als Flüchtling lebt. Der Iraker hatte in Großbritannien darüber gesprochen, was er in Falludscha gesehen hat und wird nun vom US-Militär bedroht, sollte er in den Irak zurückkehren.

»Ich habe begonnen, darüber zu sprechen, was in Falludscha während beider Belagerungen passiert ist, um Aufmerksamkeit zu wecken, und die Amerikaner haben drei Mal mein Haus durchsucht«, sagt er, und spricht so schnell, daß ich kaum mitkomme. Er will mitteilen, was er gesehen hat.

»Ich kam Ende Dezember mit einem Hilfskonvoi der Briten nach Falludscha und blieb bis Ende Januar«, erklärt er, »aber ich war schon zuvor in der Stadt, um zu sehen, was die Menschen dort brauchen.« Er kenne daher die Situation seit Anfang Dezember.

Als ich ihn bitte zu beschreiben, was er beim ersten Eintreffen in Falludscha sah, sagt er kurz: Es war, als hätte ein Tsunami die Stadt getroffen. »Falludscha ist von Flüchtlingslagern umgeben, wo die Menschen in Zelten und alten Autos leben«, erklärt er. »Die von dieser Belagerung ausgelöste Katastrophe ist so viel schlimmer als die erste, die ich selbst mitansah«, berichtet er weiter. Die westlich von Bagdad gelegene Stadt war im April 2004 von US-Truppen das erste Mal abgeriegelt und angegriffen worden. Im November folgte die »Operation Morgendämmerung«.

Auf Video aufgezeichnet

Während seines letzten Aufenthaltes in der umkämpften und belagerten Stadt hat er vieles auf Video aufgezeichnet. So auch den Bericht eines Mädchens. »Die 16jährige«, erzählt der Arzt. »blieb drei Tage lang bei den Leichen ihrer Familie, die in ihrem Haus getötet worden war. Als die Soldaten hereinkamen, war sie mit ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem zwölfjährigen Bruder und zwei Schwestern in ihrem Haus. Sie sah, wie die Soldaten hereinkamen und ihre Mutter und ihren Vater direkt erschossen, ohne ein Wort zu sagen.« Sie habe sich mit ihrem Bruder hinter dem Kühlschrank verstecken können und alles mit eigenen Augen ansehen müssen. »Sie schlugen ihre beiden Schwestern, dann schossen sie ihnen in den Kopf«, gibt der Arzt die Zeugenaussage wieder. Danach habe es ihren Bruder nicht länger im Versteck gehalten, er sei auf die Soldaten zugelaufen und habe sie angeschrien. Er sei erschossen worden. »Sie versteckte sich weiter, auch nachdem die Soldaten gegangen waren, und blieb bei ihren Schwestern, die stark bluteten, aber noch lebten. Sie hatte zu große Angst, um Hilfe zu rufen, weil sie befürchtete, daß die Soldaten zurückkommen und auch sie töten würden. Sie blieb dort drei Tage lang, ohne Wasser und ohne Nahrung. Schließlich sah sie ein amerikanischer Scharfschütze und brachte sie ins Krankenhaus«, fügt er hinzu - er erinnerte mich noch einmal daran, daß er ihre Zeugenaussage gefilmt hat.

Er erzählt mir dann von einer Mutter. »Am fünften Tag der Belagerung wurde ihr Haus bombardiert, und das Dach fiel auf ihren Sohn und trennte seine Beine ab«, sagt er, während er mit seinen Händen Schneidebewegungen an seinen Beinen macht. »Sie konnte stundenlang nicht herausgehen, weil sie angekündigt hatten, daß jeder auf den Straßen erschossen würde. Also konnte sie nur seine Beine verbinden und zusehen, wie er vor ihren Augen starb.«

Er hält für einige tiefe Atemzüge inne, fährt dann fort, »Es gab dort nach der Belagerung nicht mehr viele Familien. Die wenigen Verbliebenen hatten absolut nichts mehr. Das Leiden war jenseits der Vorstellungskraft. Als die Amerikaner uns schließlich hineinließen, prügelten sich die Leute schon um eine Decke.«

Der Arzt erzählt mir von der zweimaligen Bombardierung der Klinik Hay Nazal während der ersten Woche der Belagerung. »Sie enthielt all die ausländischen Hilfen und medizinischen Instrumente, die wir hatten. Alle Kommandeure des US-Militärs wußten das. Wir hatten es ihnen vorher gesagt, damit sie das Krankenhaus nicht bombardieren.«

Anzeige gegen Militärs

Der Arzt und einige seiner Kollegen wollen das US-Militär wegen des folgenden Vorfalls verklagen, für den er ebenfalls Zeugenaussagen auf Video besitzt. Es ist eine Geschichte, die mir in Bagdad zuvor schon von mehreren Flüchtlingen erzählt worden ist. »Während der zweiten Woche der Belagerung kamen sie herein und verkündeten, daß alle Familien ihre Häuser verlassen und sich an einer Straßenkreuzung treffen und dabei eine weiße Fahne tragen müßten. Sie gaben ihnen 72 Stunden, um zu gehen. Danach würden sie als Feinde betrachtet werden«, sagt er. »Eine zwölfköpfige Familie ging mit dem Nötigsten hinaus. Als sie die Kreuzung erreichten, wo sich die Familien sammelten, hörten sie, wie jemand ›Jetzt‹ auf Englisch rief. Danach wurde aus allen Richtungen geschossen.«

Seine Familie trug weiße Fahnen wie angeordnet, habe ein Überlebender des Massakers bei dessen Zeugenaussage betont. Trotzdem habe er mit ansehen müssen, wie seine Mutter und sein Vater von Scharfschützen getroffen wurden - seine Mutter im Kopf und sein Vater ins Herz. Seine zwei Tanten wurden erschossen, dann wurde seinem Bruder in den Nacken geschossen. Ein sechs Jahre alter Junge der Familie stand bei den Leichen seiner Eltern und weinte, dann wurde auch er erschossen. »Jeder, der aufstand, wurde erschossen«, gibt der Arzt den Betroffenen wieder und fügt dann erneut hinzu, daß er Bilder der Toten sowie Fotos der Schußwunden der Überlebenden hat. »Als es dunkel wurde, schafften es einige von ihnen, darunter der Mann, mit dem ich gesprochen habe, sein Kind, seine Schwägerin und seine Schwester, wegzukriechen. Sie krochen zu einem Gebäude und blieben dort acht Tage lang. Sie benutzten Speiseöl für ihre Wunden, die natürlich entzündet waren, und fanden einige Wurzeln und Datteln zum Essen.«

Als er die Stadt Ende Januar verlassen habe, seien vielleicht 25 Prozent der Menschen zurückgekehrt, aber es gebe immer noch keine Ärzte. »Der Haß der Menschen in Falludscha auf jeden Amerikaner ist jetzt unglaublich, und man kann es ihnen nicht vorwerfen. Die Erniedrigung an den Kontrollpunkten macht die Leute nur noch wütender«, erzählt er mir. »Ich bin dort gewesen, und ich sah, daß jeder, der nur seinen Kopf dreht, sowohl von den Amerikanern als auch den irakischen Soldaten bedroht und geschlagen wird.«

»Und ich habe gesehen, wie die US-Militärs die Medien benutzen: Am Kontrollpunkt im nördlichen Teil der Stadt gaben sie Leuten am 2. Januar 200 US-Dollar pro Familie, damit sie nach Falludscha zurückkehrten und sie sie so in der Schlange filmen konnten ... während damals tatsächlich niemand nach Falludscha zurückkehrte.« Das erinnert mich an die Geschichte, die mir ein Kollege von dem erzählte, was er im Januar in Falludscha gesehen hat. Zu der Zeit wurde ein CNN-Team vom Militär eskortiert, um Straßenfeger, die als Statisten dorthin gebracht worden waren, und Soldaten, die Süßigkeiten an Kinder verteilten, zu filmen.

»Man muß den verursachten Haß verstehen ... es ist für Iraker, mich eingeschlossen, schwieriger geworden, zwischen der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Volk zu unterscheiden«, sagt mir der Arzt. »Mein Cousin war ein armer Mann in Falludscha«, erklärt er. »Er ging von seinem Haus zur Arbeit und zurück. Im Juli 2003 kamen amerikanische Soldaten in sein Haus und weckten alle auf. Sie zerrten ihn, seine Frau und die fünf Töchter ins Wohnzimmer und exekutierten meinen Cousin vor seiner Familie. Dann gingen sie einfach.« Der Arzt zögert, hält dann seine Hände hoch und fragt: »Nun, was werden diese Menschen gegenüber Amerikanern empfinden?«

(Übersetzung: Norman Griebel)

Augenzeugenberichte aus dem Besatzungsgebiet

Der irakische Arzt Mahammad J. Haded und Mohammad Awad, Leiter eines Flüchtlingshilfezentrum in der Nähe von Falludscha, kommen nach Deutschland. Dr. Haded arbeitet im Zentralkrankenhaus von Falludscha, das von US-Truppen zu Beginn ihres Angriffs im November 2004 besetzt wurde, sowie einer kleineren Klinik in der Innenstadt. Er war einer der wenigen Ärzte, die während der gesamten US-Militäroffensive »Morgendämmerung« in der Innenstadt waren. Mohammad Awad leitet ein Flüchtlingszentrum in Saqlawiya, neun Kilomenter nördlich der belagerten Stadt gelegen. Er hat mit anderen Freiwilligen auch einen Teil der Toten in Falludscha geborgen und zur Identifizierung und Bestattung nach Saqlawiya gebracht.
  • Hamburg, Montag, 14. Februar, 19 Uhr, Hörsaal der HWP, Von-Melle-Park 9
  • Berlin, Dienstag, 15. Februar, 19 Uhr, Yorckstr. 59/Ecke Katzbachstr
  • Frankfurt am Main, Freitag, 18. Februar, 20 Uhr, Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77
  • München, Samstag, 19. Februar, 19 Uhr, EineWeltHaus, Schwanthalerstr. 80
  • Pfaffenhofen, Sonntag, 20. Februar, 20 Uhr, Naturfreundeheim, Ziegelstr. 88
  • Mainz, Mittwoch, 23. Februar, Demonstration gegen den Bush-Besuch
  • Tübingen, Donnerstag, 24. Februar, 20 Uhr, Schlatterhaus, Österbergstr. 2
  • Heidelberg, Fr. 25. Februar, 19:30 Uhr, DAI, Sofienstraße 12
Quelle: www.jungewelt.de


»Falludscha wurde verwüstet«

Gespräch mit Mahammad J. Haded und Mohammad Awad, geführt von Rüdiger Göbel, über das Wahlspektakel im Irak nach der Belagerung und Bombardierung einer 360000-Einwohner-Stadt, die Stimmung in der US-Armee und die in der Bevölkerung im besetzten Zweistromland - in junge Welt, 26.02.2005

Der Arzt Mahammad J. Haded und Mohammad Awad, Direktor eines Flüchtlingszentrums, waren während der US-Großoffensive »Morgendämmerung« im November 2004 in der belagerten und bombardierten irakischen Stadt Falludscha. In den vergangenen zwei Wochen berichteten sie auf zahlreichen Veranstaltungen in Deutschland über den erlebten Terror. Weitere Informationen dazu: www.iraktribunal.de

F: Vor zwei Wochen ist US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nach einem Besuch der Besatzungstruppen in Bagdad in sein Flugzeug gestiegen und war ein paar Stunden später auf der »Sicherheitskonferenz« in München. Wie lange braucht ein Iraker vom besetzten Zweistromland nach Deutschland?

Mahammad J. Haded: Wir mußten mit dem PKW von Falludscha nach Bagdad fahren und uns bei der deutschen Botschaft ein Visum abholen. Von dort aus sind wir mit dem Taxi in die gut 1000 Kilometer entfernte jordanische Hauptstadt Amman gefahren. Mit Jordan Air ging es weiter nach Frankfurt am Main. Alles in allem waren wir drei Tage unterwegs.

F: In den vergangenen Wochen haben die »Wahlen« im Irak die Berichterstattung in den hiesigen Medien bestimmt. In der Provinz Anbar, wo auch Falludscha liegt, haben nach Besatzerangaben nur zwei Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Wie erklären Sie das?

Haded: Die Wahlen im Irak waren wichtig für die USA. Sie waren von enormer symbolischer Bedeutung, ein Votum der Iraker stellen sie nicht dar. Die Iraker wurden vielmehr ausgelöscht und aufgeteilt in Schiiten, Sunniten, Christen, in Kurden, Turkmenen und Araber, und so weiter. Parteien, die wirklich für unser Land arbeiten, haben sich an der Wahl erst gar nicht beteiligt. Aufgrund der nicht vorhandenen Sicherheit waren sie für eine Verschiebung. Die Sunniten etwa in Mosul, Tikrit, Dijala, Anbar, Falludscha, Ramadi und großen Teilen Bagdads waren der Meinung, an der Wahl kann man so lange nicht teilnehmen, wie Besatzungstruppen im Land sind. Sie forderten einen klaren Zeitplan für deren Abzug. Die schiitischen Imame hingegen riefen in den Moscheen zur Abstimmung auf und erklärten, wer nicht wählen geht, ist ein Ungläubiger. Ihren Anhängern sagten sie, mit der Wahl würden sie die Forderung nach Abzug der Amerikaner unterstützen. Wähler wie Nichtwähler eint der Wunsch nach Abzug der US-Soldaten.

Mohammad Awad: Die Amerikaner und die irakische Übergangsregierung sprachen von 14,5 Millionen Wahlberechtigten. Am Ende nahmen ihren Angaben zufolge acht Millionen teil. Viele Iraker meinen, daß allenfalls fünf Millionen abgestimmt haben - bei einer Gesamtbevölkerung von 26 Millionen.

F: Aus Angst vor Anschlägen oder aus politischer Überzeugung?

Haded: Es gibt viele Gründe, von mangelnder Sicherheit bis hin zu politischem Boykott. Am Wahltag war es verboten, mit dem Auto zu fahren. Man mußte also zu Fuß zum Wählen gehen. Es gab Anschlagsdrohungen gegen Wahllokale. Viele hatten also tatsächlich Angst, an der Wahl teilzunehmen. Viele blieben wiederum in der Annahme von Wahlfälschungen durch die Amerikaner fern. Sie wollten nicht Teil eines Spektakels sein.

Awad: Die meisten Iraker stimmten aus politischer Überzeugung nicht ab. Wie kann ich meinen Stimmzettel in eine Urne stecken, die von einem amerikanischen Panzer »geschützt« wird, war immer wieder zu hören. Von der UNO waren gerade einmal 15 Wahlbeobachter im Irak! Wie wollen die sich ein Bild vom korrekten Ablauf machen.

Ein weitverbreiteter Slogan im Irak war: Gehen Sie zur Wahl oder gehen Sie nicht - am Ende wird in jedem Fall die Besatzung gewinnen. Schon vor Auszählung der Stimmen war klar, daß die neue Regierung aus der bisherigen Übergangsregierung gebildet wird. Da werden einzig Posten verschoben und Minister umbesetzt. Das heißt letztlich, das irakische Volk hat keine Stimme.

F: Falludscha hatte vor der US-Invasion 360000 Einwohner. Wie viele Menschen leben noch in der mehrfach belagerten und bombardierten »Stadt der tausend Moscheen«?

Haded: Zunächst, in Falludscha gab es nur hundert Moscheen. Die Stadt ist heute total ruiniert. Falludscha ist unser Dresden im Irak. Etwa 5000 Familien, also 25000 bis 30000 Iraker, blieben während der US-Großoffensive im November in Falludscha, die übrigen Einwohner waren geflohen. Mittlerweile sind einige zurückgekehrt. Wir schätzen, daß etwa 20 Prozent der Bevölkerung nach Falludscha zurückgekehrt sind.

F: Die US-Armee gab Ende Dezember an, jede dritte Wohnung in Falludscha sei infolge der Großoffensive zerstört worden.

Haded: Das schließt nur die Bombardierungen ein. Wohnungen und Häuser, die nicht direkt durch US-Bomben zerstört worden sind, wurden später verwüstet. Die Möbel wurden kurz und klein geschlagen. Zudem wurden unzählige Häuser gezielt in Brand gesetzt. Selbst Schulen und Krankenhäusern wurden zerstört. Die Amerikaner haben sich von Haus zu Haus vorgearbeitet. Verwüstete Häuser wurden mit einem »X« markiert.

F: Wie viele Iraker wurden während der US-Offensive getötet?

Haded: Bis heute werden unter den Trümmern zerstörter Häuser Leichen gefunden. Eine unbekannte Zahl Toter wurde von den Amerikanern in den Euphrat geworfen. Die US-Armee erklärte, 1200 Menschen getötet zu haben. Wir selbst haben mehr als 700 Leichen geborgen und beigesetzt. Darüber hinaus können wir keine Angaben machen.

F: Laut US-Militärs handelte es sich bei den Toten ausschließlich um »Terroristen«, also Widerstandskämpfer. Zivilisten seien nicht zu Schaden gekommen. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Haded: Wir haben unzählige Bilder und auch Filme, auf denen Sie sehen können, wer in Falludscha getötet wurde. Ich lade jeden ein, in unsere Stadt zu kommen und sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Ich bringe Sie mit Kindern zusammen, die mit ansehen mußten, wie ihre Eltern von Amerikanern erschossen wurden. Und ich bringe Sie mit Männern zusammen, die sahen, wie ihre Kinder und ihre Frau getötet wurden.

Es gab und gibt Widerstand im Irak und auch in Falludscha. Der Widerstand gegen die Besatzung ist legitim und entspricht internationalen Konventionen. Es ist aber keineswegs legal, Zivilisten zu bombardieren. Das ist weder den Amerikanern noch Besatzungsgegnern erlaubt.

Viele Iraker sind der Meinung, daß die Anschläge auf Zivilisten nicht vom Widerstand zu verantworten sind, sondern daß letztlich die Amerikaner und die Geheimdienste der Nachbarländer dahinterstecken. Ähnlich ist es mit Musab Al Sarkawi, mit dessen Existenz die Amerikaner die Angriffe auf Falludscha gerechtfertigt haben. Wo ist Al Sarkawi denn heute? Er ist ein Phantom, das immer dort auftaucht, wo es gerade gebraucht wird. Egal ob Kirkuk, Mosul, Tikrit, Samarra, Ramadi, Bagdad oder Basra - überall, wo es Widerstand gibt, taucht praktischerweise irgendwann Al Sarkawi auf.

F: Die Großoffensive »Morgendämmerung« begann in der Nacht zum 8. November. Sie haben zu dem Zeitpunkt im Allgemeinen Krankenhaus in Falludscha gearbeitet. Wie haben Sie die US-Angriffe erlebt?

Haded: Das städtische Krankenhaus liegt im Westen und ist durch den Euphrat von der eigentlichen Stadt getrennt. Zwischen sieben und acht Uhr abends umzingelten US-Soldaten das 200-Betten-Hospital und besetzten es. Zu dem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 30 Patienten im Krankenhaus. Obwohl es keinerlei Widerstand gab und dort auch keine Kämpfer behandelt wurden, sind die Ärzte und das Pflegepersonal, zusammen 22 Beschäftigte, zunächst festgenommen worden: Wir wurden zu Boden geworfen, gefesselt und danach verhört. Uns wurde gesagt, wir müßten das Krankenhaus räumen, Patienten wie Bedienstete müßten raus. Danach wurde das Hospital verwüstet, selbst die medizinischen Geräte wurden zerstört.

F: Wurden in dem Krankenhaus Widerstandskämpfer behandelt?

Haded: Fragen Sie die Amerikaner. Sie sind rein, haben alles durchsucht und uns immer wieder gefragt, wo sich die Terroristen versteckt hätten. Fragen Sie, wie viele sie gefunden und verhaftet haben. Wenn sie dort jemanden vom Widerstand gefunden hätten, hätten sie uns Ärzte doch niemals wieder freigelassen.

Zeitgleich mit der Besetzung des Krankenhauses setzte die Bombardierung der gesamten Stadt ein. Die Detonationen waren deutlich zu hören. Selbst Rettungswagen wurden angegriffen. Zunächst versuchten Einwohner, Verletzte mit ihren PKW in ein Krankenhaus zu bringen. Doch alles, was sich auf den Straßen bewegte, wurde unter Beschuß genommen.

Wir haben schließlich im östlichen Teil Falludschas ein Behelfskrankenhaus errichtet. Im Prinzip war es nicht mehr als eine Ambulanz. Wir gaben den Amerikanern die genauen Daten des Gebäudes. Zwei Tage später wurde es bombardiert, auch diese Rettungsstation war also verloren. Wir haben schließlich eine zweite Behelfsambulanz errichtet, die aber eigentlich nicht funktionsfähig war. Wir hatten dort praktisch nichts. Wasser und Strom waren abgestellt, auch das Telefon funktionierte nicht mehr.

Die Bedingungen waren katastrophal und doch haben wir 25 Verletzte operiert. Wir hatten aber keine Medikamente, die Wunden entzündeten sich. Die Patienten lagen praktisch in ihren Totenbetten. Wer eine größere Verletzung hatte, war ohnehin verloren. In den umliegenden Häusern suchten wir Freiwillige, die uns halfen - beim Saubermachen, Wegwischen des Blutes. Auch mein 13jähriger Sohn war unter den Helfern.

Nach sieben Tagen bin ich zu den Amerikanern gegangen. Ich wollte einen Krankentransport organisieren. Zunächst wurde ich aber von Soldaten der irakischen Armee - allesamt Schiiten und Kurden - festgenommen. Schließlich konnte ich mit einem Verantwortlichen in der US-Armee sprechen. Ich bat ihn, daß wir unsere Patienten ins Krankenhaus bringen dürfen. Er glaubte mir zunächst nicht, erklärte, es gebe niemanden mehr in Falludscha, alle seien geflohen. Ich bat ihn, mit einem Wagen und einer weißen Fahne durch die Straßen fahren zu dürfen und die verbliebenen Einwohner in einer Moschee zu sammeln. In einer Stunde hatte ich etwa 50 Leute aus ihren Häusern gerettet, rund zehn Familien. Zwei Tage später waren wir 200 Iraker in der Moschee. Einige berichteten mir, daß amerikanische Soldaten gezielt auf Familien geschossen hätten, obwohl sie eine weiße Fahne mit sich geführt hatten. Auch in der Moschee hatten wir eine kleine Ambulanz aufgebaut. In den umliegenden Häusern suchten wir nach Medikamenten - nichts Besonderes, ein paar Beruhigungsmittel.

Bis heute ist das Zentralkrankenhaus von US-Soldaten belagert. Patienten müssen zu Fuß kommen! Wer mit dem PKW kommt, wird beschossen.

F: Warum waren während der Bombardierung mehrere tausend Iraker in Falludscha geblieben?

Haded: Aus unterschiedlichen Gründen: Einige hatten keine Verwandten, zum Beispiel in Bagdad, bei denen sie unterkommen konnten. Andere schämten sich, Flüchtlinge zu sein und in Zelten zu leben. Wieder andere wären gerne geflohen, hatten aber kein Auto. Die meisten, die geblieben waren, konnten sich aber einfach auch nicht vorstellen, daß die Amerikaner so wüten würden. Sie hatten nicht geglaubt, daß die US-Soldaten gezielt Zivilisten bombardieren und ganze Familien erschießen. Kämpfer ja, aber Unbewaffnete, Frauen, Kinder, Verletzte, Alte?

F: Waren Sie selbst Zeuge eines Massakers?

Haded: Nein, persönlich habe ich nicht gesehen, daß Amerikaner so etwas gemacht haben. In einer der Notambulanzen waren allerdings zwei Verletzte, nach denen ich mich später bei den Amerikanern erkundigte. Ein irakischer Soldat sagte mir dann, sie hätten die beiden erschossen und da und da begraben.

In Absprache mit den Amerikanern hatte ich aus den 200 Leuten in der Moschee einen kleinen Trupp Freiwilliger zusammengestellt, die die Toten von den Straßen bergen sollten, es drohte schließlich der Ausbruch von Seuchen, und der Verwesungsgeruch war schrecklich. Diese Freiwilligen haben mir später erzählt, daß viele Frauen und Kinder sowie Alte unter den Toten seien.

Awad: Auch ich hatte mich als Freiwilliger für die Bergung von Leichen gemeldet. Sie müssen sich vorstellen, daß die Toten über Tage und zum Teil Wochen in den Straßen und Wohnungen lagen. An vielen Leichen hatten sich bereits Hunde zu schaffen gemacht. Auffallend viele Tote waren total verkohlt - wir fragten uns, welche Waffen die Amerikaner da eingesetzt haben.

Ich habe in Falludscha mit eigenen Augen eine Familie gesehen, die von US-Soldaten erschossen worden war: Der Vater war Mitte Fünzig, seine drei Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Im Flüchtlingslager hatte mir eine Lehrerin erzählt, sie habe Essen zubereitet, als Soldaten ihre Wohnung in Falludscha gestürmt hätten. Ohne Vorwarnung hätten sie ihren Vater, ihren Mann und ihren Bruder erschossen. Danach sind sie wieder raus. Die Frau blieb aus Angst im Haus bei den Toten. Abends kamen andere Soldaten, die sie und ihre Kinder mitnahmen und aus der Stadt brachten. Das sind nur zwei von vielen Tragödien in Falludscha.

F: Zehntausende Iraker sind vor der Eroberung aus Falludscha geflohen und bis heute nicht in die US-besetzte Stadt zurückgekehrt. Wie sind die Lebensbedingungen dieser Flüchtlinge?

Awad: Sehr, sehr schwer. Anfangs lebten sie in provisorischen Unterkünften, viele auch unter freiem Himmel. Uns fehlte Milch für Kinder, Ältere hatten keine Medikamente. Von staatlicher Seite, also der irakischen Übergangsregierung Ijad Allawis, gab es praktisch keine Hilfe für diese Menschen. Geschweige denn von den Amerikanern. Wir waren und sind auf Spenden privater Organisationen angewiesen.

Gleichzeitig gibt es aber auch eine überwältigende, spontane Solidarität innerhalb der irakischen Bevölkerung. Viele aus Falludscha Geflohene sind bei Verwandten oder Freunden untergekommen. Unzählige Iraker in Bagdad und auch anderen Städten haben sich zudem gemeldet, sie würden Flüchtlinge aufnehmen. Rund einen Monat nach Beginn der US-Offensive war schließlich der irakische Rote Halbmond in die Gänge gekommen und hat mit Hilfslieferungen begonnen.

F: Wie ist die Stimmung heute in Falludscha: Sind Wut und Haß auf die Besatzer bestimmend oder eher Resignation und Bedauern, daß es Widerstand gab?

Haded: Die Bevölkerung ist voller Wut. Die Menschen hassen die Amerikaner - Amerikaner allgemein, nicht nur US-Soldaten. Sie sind Besetzer, Killer und Terroristen. Praktisch jede Familie in Falludscha hat einen Toten zu beklagen, wie können Sie da eine andere Reaktion erwarten.

Ich sage Ihnen: Die meisten Soldaten fühlen sich wohl, wenn sie Iraker erschießen. Sie glauben wirklich, alle Iraker seien Terroristen, so wie es ihnen ihre Regierung sagte. Ich sah Soldaten, die lachten bei ihrem Einsatz, als ob sie unter Drogen standen. In einer Moschee haben sie eine Silvesterfeier veranstaltet. Das Gotteshaus wurde in eine Disko verwandelt!

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, letztlich haben die Amerikaner in Falludscha verloren. Was heißt es denn, wenn ein Imperium wie die USA mit all seiner Macht über eine doch kleine Stadt herfällt, ohne jede Moral, ohne Skrupel. Das ist der Anfang vom Ende.

F: Die US-Armee hat am Ende ihrer Falludscha-Offensive angeboten, 500 Dollar Entschädigung für jede zerstörte Wohnung zu zahlen.

Haded: Was sind 500 Dollar? Das reicht doch noch nicht einmal, um den Schutt abfahren zu lassen! Das Angebot ist eine neuerliche Demütigung. Sie wollen uns zu Bettlern machen. Ich will das Geld nicht. Wir Araber und Muslime glauben an Prinzipien: Wir leben lieber in Zelten und in Freiheit als in Luxus und unter Besetzung.

Awad: Ich bin sehr wohl der Meinung, daß die Besatzer eine angemessene Entschädigung zahlen müssen für die physischen und psychischen Schäden, die die Bürger Falludschas erlitten haben - und zwar nachdem die Amerikaner unsere Stadt und unser Land verlassen haben.

Zu unseren Gesprächspartnern

Dr. Mahammad J. Haded gehört zum medizinischen Stab des Zentralkrankenhauses von Falludscha, das im November 2004 von US-Truppen besetzt wurde, und arbeitet außerdem in einer kleinen Klinik im Zentrum der Stadt. Er war einer der wenigen Ärzte, die während des Angriffs in Falludscha blieben.

Mohammad F. Awad ist Bauingenieur und seit 2003 Vorsitzender des Rats von Saqlawiya, einer Kleinstadt neun Kilometer nördlich von Falludscha. Seit vergangenem Jahr ist er auch Direktor des vom Roten Halbmond unterstützten Flüchtlingshilfezentrums in Saqlawiya. Er gehörte zu den Freiwilligen, die Leichen von getöteten Einwohnern Falludschas bargen und zur Identifizierung und Bestattung nach Saqlawiya brachten.

Spenden:

Für Projekte für Kinder aus Falludscha kann auf das Konto: »Kinderhilfe Irak« der IPPNW Deutschland gespendet werden. Stadtsparkasse Gaggenau, BLZ 66551290, Kto.-Nr. 50264639, Kennwort »Falludscha«.

Die »Diakonie Katastrophenhilfe« unterstützt im Irak u.a. Flüchtlinge aus Falludscha. Spendenkonto: Diakonie Katastrophenhilfe, Postbank Stuttgart, BLZ 60010070, Konto 502707, Kennwort: »Irak« oder online: www.diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden/

Quelle: www.jungewelt.de


Die neuen Nazis marschieren

Ein Schrei des Entsetzens - von Andreas Vogel, November 2004

Der 'Walkürenritt' von Richard Wagner ertönt. Zu Siegesberichten und Sondermeldungen hören wir heroische Klänge: 'Les Preludes' von Liszt oder Wagners 'Walkürenritt'. Phosphorbomben machen die Stadt des Feindes zur Hölle.

Ein Kriegsteilnehmer erinnert sich: "Gleich nach Kriegsbeginn sah ich im Kino in der Wochenschau Bilder der Luftwaffe. Piloten mit markanten und ernsten Gesichtern unter der Fliegerkappe lenkten ihre Ju86-Sturzkampfbomber zur Musik aus Richard Wagners Walkürenritt den Zielen entgegen." ... "Ich möchte fliegen! Ich werde ein Pilot! Und im inneren Ohr hörte ich Richard Wagners Walkürenritt." Das war seine Reaktion.

Gekonnt eingesetzte Licht- und Tontechnik: Jüdische Marktszenen sind mit verzerrten, maurischen Klängen unterlegt. Arische Arbeiter dagegen werden mit Musik in Verbindung gebracht, die an Wagner's 'Walkürenritt' erinnert. So treiben es die Nazis in ihrem propagandistischen Machwerk, dem Film 'Der Ewige Jude'.

Es ist wieder soweit

"A psychological operations Humvee blaring Richard Wagner's 'Ride of the Valkyries' drove by, followed by creaking military construction equipment." So schreibt der Berichterstatter des 'Chicago Tribune', der mit US-Einheiten in die irakische Stadt Falludscha vorrückte, am 10.11.2004. Also: Ein Wagen der psychologischen Kriegsführung, gefolgt von 'knarrender' militärischer Gerätschaft, spielt über Lautsprecher Wagners 'Walkürenritt'...

"Die irakische Stadt Falludscha ist binnen Tagen in ein großes Totenhaus verwandelt worden. Aus einem Bericht der Washington Post geht hervor, daß die US-Armee bei ihrer 'Operation Morgendämmerung' genannten Großoffensive auch Chemiewaffen einsetzt. Wie die US-Zeitung meldete, feuerte die Artillerie Granaten mit Weißem Phosphor auf die 300 000 Einwohner zählende Stadt ab. Dadurch sei eine Feuerwand entstanden, die mit Wasser nicht gelöscht werden konnte. Krankenhausarzt Kamal Hadeethi sagte gegenüber der Washington Post: »Ich habe zahlreiche Tote mit schweren Verbrennungen gesehen. Einige Leichen waren geschmolzen.« Auch andere Bewohner von Falludscha berichteten von gespenstischen Szenen: Im Bezirk Dscholan seien die Straßen mit Kratern übersät, überall lägen Leichen. An Hausmauern klebten Fleischfetzen." (Rüdiger Göbel, junge Welt, 13.11.2004)

Falludscha: das neue Halabscha

"Der Diktator, der die gefährlichsten Waffen der Welt ansammelt, hat sie bereits gegen ganze Dörfer eingesetzt - wodurch tausende seiner eigenen Bürger getötet, blind oder entstellt wurden... Wenn das nicht das Böse ist, dann weiß ich nicht, was das Böse ist." So hören wir US-Präsident George W. Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation am 28.1.2003 sagen. Und die Medien stehen in ihrem moralischen Eifer nicht zurück. Im 'Spiegel' beispielsweise heißt es in einem Artikel mit dem Titel "Akte Saddam - 'Der gefährlichste Mann der Welt'" zu den Vorkommnissen, die bis heute letztlich nicht geklärt sind, zur Einstimmung auf den Krieg gegen den Irak am 3.2.2003: "Im März 1987 ernannte Saddam seinen mörderischen Cousin Ali Hassan al-Madschid zum Gouverneur des Nordirak. Am 16. März 1988 unternahm Ali Hassan seinen berüchtigten Überfall auf die kurdische Stadt Halabdscha. Er setzte verschiedene chemische Kampfstoffe ein und tötete mindestens 5000 kurdische Zivilisten..."

Und heute - im November 2004 - nach dem verhehrenden, mörderischen Überfall der USA auf die Stadt Falludscha? Was hören wir jetzt? Bundeskanzler Schröder spricht den Betroffenen sein Beileid aus: "Mit großer Bestürzung habe ich vom Tod der [Menschen] erfahren, die heute Opfer eines besonders heimtückischen Angriffs in ... Falludscha geworden sind. Ihnen, den Familienangehörigen der Opfer und dem ganzen ... Volk möchte ich zu diesem Verlust mein tief empfundenes Beileid ausdrücken."

Nein, dieser Text hat nichts mit dem Blutbad, das die USA in Falludscha angerichtet haben, zu tun. Dieser Text stammt nicht vom November 2004, sondern vom 2. November 2003, als ein US-Militärhubschrauber abgeschossen wurde. In vollem Wortlaut heißt es in dem Beileidsschreiben: "Sehr geehrter Herr Präsident, lieber George, mit großer Bestürzung habe ich vom Tod der 15 amerikanischen Soldaten erfahren, die heute Opfer eines besonders heimtückischen Angriffs in der Nähe von Falludscha geworden sind. Ihnen, den Familienangehörigen der Opfer und dem ganzen amerikanischen Volk möchte ich zu diesem Verlust mein tief empfundenes Beileid ausdrücken."

Heute warten wir auf eine derartige Erklärung - vergeblich. Seit Beginn des völkerrechtswidrigen Raubüberfalls der USA und ihrer 'Koalition der Willigen' auf den Irak zählen wir 100.000 Tote auf Seiten der irakischen Bevölkerung (gemäß einer Studie, die am 29.10.2004 von der britischen Medizinzeitschrift 'The Lancet' www.thelancet.com veröffentlicht wurde). Präsident Bush, Saddam Hussein in Potenz, und seine Hintermänner können ihr Spiel treiben - ohne das Geheul der führenden Politiker und der Medien.

Der 'Walkürenritt' ertönt. Die Zeit, in der diese Musik nur im Rahmen von 'Antikriegsfilmen' wie Francis Ford Coppolas 'Apocalyse Now' von 1979 zur Untermalung eines Massakers an - damals vietnamesischen - Zivilisten zum Einsatz kommt, ist vorbei. Der 'Walkürenritt' ertönt wieder in Zusammenhang mit realen Kriegen.

Die Nazis sind auferstanden

Fast unbehelligt können sie ihr menschenverachtendes Spiel treiben. Einen Schrei des Entsetzens hören wir in der 'zivilisierten' westlichen Welt kaum, auch vonseiten der deutschen 'Antikriegspolitiker' nicht. Sie sprechen nur dann von Auschwitz, wenn es darum geht - wie 1999 gegen Jugoslawien - die eigenen Kriege zu legitimieren.

Quelle: www.jungewelt.de