Berlin, 1.11.2003 (1) - Demonstration der 100.000 gegen den sozialen KahlschlagBilder

Es reicht! Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag!

Aufruf zu bundesweite Demonstration am 1. November 2003 in Berlin - Beginn um 13 Uhr auf dem Alexanderplatz - Abschlusskundgebung auf dem 'Gendarmenmarkt'

Der Angriff auf die sozialen Sicherungssysteme hat in Deutschland verschiedene Namen:

Agenda 2010, Hartz, Rürup und Gesundheits-»reform«. Damit betreibt die Schröder/Fischer-Regierung die größten Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse und Rechte seit dem 2. Weltkrieg.

Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes macht sie Hunderttausende von Erwerbslosen zu Sozialhilfebezieher/innen. Gleichzeitig plant sie die Absenkung der Sozialhilfe.

Das Hartz Konzept bedeutet Übergang zur Zwangsarbeit, bereitet Lohnsenkungen den Weg und höhlt Tarifverträge aus.

Für Zahnersatz und Krankengeld sollen wir in Zukunft selbst aufkommen. Eintrittsgeld beim Arzt und höhere Zuzahlungen für Medikamente sind geplant. Wir sollen 20 Mrd. Euro mehr zahlen.

Die Renten sollen so abgesenkt werden, dass die meisten Rentner/innen in Zukunft nicht mehr haben als Sozialhilfe und die Altersarmut steigt.

Uns wird eingeredet, es sei kein Geld da. Dabei hat sich die Produktivität in den letzten zehn Jahren verdoppelt und der gesellschaftliche Reichtum ist enorm gewachsen!

Den Unternehmerverbänden und der Regierung geht es nur darum, den Banken und Konzernen auf unsere Kosten höhere Gewinne zuzuschieben. Sie sind es, die für Arbeitslosigkeit, leere Staatskassen und Krisen verantwortlich sind.

Die Senkung der Gewinnsteuern ab 2001 spülte bisher 30 Mrd. Euro in die Kassen der Unternehmen.

Der Verzicht auf die Vermögenssteuer belässt den Reichen jährlich 16 Mrd. Euro mehr auf ihren Konten.

Die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes wird mit Kürzungen bei Erwerbslosen in Höhe von 6 Mrd. Euro finanziert.

Der geplante Kauf von 60 Militär-Airbussen kostet 8,3 Mrd. Euro - aber der Rentenzuschuss von 2 Mrd. Euro soll gestrichen werden.

Der internationale Standortwettbewerb der großen Konzerne und Regierungen führt auch in anderen Ländern zu »Strukturanpassungen«, Senkung von Unternehmersteuern, Kürzung von sozialen Leistungen, Löhnen und Gehältern. In Frankreich und Österreich hat diese Politik große Proteste und Streiks ausgelöst. Auch wir dürfen diese dreisten Angriffe nicht länger hinnehmen.

Ob Arbeiter/innen, Angestellte, Beamte, Erwerbslose, Frauen, Flüchtlinge, Jugendliche oder Rentner/innen - wir dürfen uns nicht spalten lassen und müssen unsere Interessen in die eigenen Hände nehmen.

Wir lehnen alle Angriffe auf den Lebensstandard der Masse der Bevölkerung ab, ob unter dem Namen, Agenda 2010, Rürup, Hartz und Gesundheitsreform.

Wir fordern umfassende Heranziehung der Unternehmensgewinne und hohen Vermögen zur Finanzierung menschenwürdiger Lebensverhältnisse!

Wir rufen auf:
  • Baut örtliche und regionale Initiativen und Bündnisse gegen den Sozialabbau auf!
  • Organisiert am Montag, 20.10., regionale Aktionstage in Betrieben und Städten!
  • Auf zur bundesweiten Demonstration am 1.11. in Berlin!
Zur Demo rufen auf, u.a die Vorbereitungsgruppe "Gegen den Sozialabbau", die IGM Berlin, Ver.di Berlin und viele mehr.

Spendenkonto: Silke Dietrich, Kto.-Nr. 23 25 90 101, BLZ 100 800 00
Dresdner Bank Berlin, Sichwort:"Sozialkahlschlag"
Das Konto läuft im Rahmen des Berliner Sozialforums und wird ausschließlich für die Demo verwendet. Es ist nicht spendenabzugsfähig.
Zahlungen, die an das vorher benannte Konto gingen, werden diesem neuen Konto zugerechnet

Erstunterzeichner unter anderem:
  • Bernd Riexinger, ver.di Geschäftsführer, Stuttgart
  • Jürgen Schumann, IG-Metall Vorstandsverwaltung
  • Angelo Lucifero, ver.di Thüringen
  • Wolfgang Ziller, 2. Bevollmächtigter IG-Metall Schweinfurth
  • Helmut Born, Landesbezirk ver.di, NRW
  • Peter Kruse, stv. Bezirksvorsitzender ver.di Bremen
  • Edel Kutter, Bezirksfrauenrat ver.di Mitte/Nord Thüringen
  • DGB-Jugend FFM
  • ver.di Erwerbslosenrat
  • ver.di Berlin
  • Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
  • Forum kritischer GewerkschafterInnen Düsseldorf
  • Netzwerk für eine demokratische und kämpferische ver.di
  • ver.di Linke NRW
  • Kölner Sozialforum
  • Berliner Arbeistlosenzentrum e.V.
  • Runder Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen
  • Tacheles e.V.
  • Arbeitsloseninitiative Bad Pyrmont e.V.
  • Berliner Bündnis für soziale Grundrechte - stoppt die Hartzpläne
  • Projektgruppe 'Agenda 2010 kippen', Hannover
  • ATTAC Berlin
  • ATTAC Würzburg
  • DIDF
  • Bremer Friedensforum
  • Friedensinitiative Hassberge
  • Widerstand International
  • Mag Wompel, labournet
  • Rainer Roth, klartext e. V.
Die ständig aktualisierte Liste aller UnterzeichnerInnen ist unter www.Demonstration-gegen-Sozialabbau.de einsehbar. Weitere UnterstützerInnen können sich auf dieser Seite eintragen. Zur Finanzierung der Demonstration ist die Unterzeichnung des Aufrufs mit einem Beitrag verbunden. Einzelpersonen mindestens 10 Euro, Initiativen, Verbände, Parteien mindestens 50 Euro.

Quelle: www.demo-gegen-sozialabbau.de


Es reicht: Alternativen sind möglich und gemeinsam machbar!

Lothar Bisky am 1. November 2003 auf dem Berliner Alexanderplatz

Wir alle werden im Protest gegen den Sozialabbau gebraucht. Wir, die Mitglieder der PDS, wollen diesen Weg gemeinsam mit den sozialen und globalisierungskritischen Bewegungen, Gewerkschaften und Sozialverbänden, den Kirchen und vielen Bürgerinnen und Bürgern gehen. Wir brauchen keine Rentenkürzungen. Wir fordern Renten von allen für alle! Widerstand gegen die Agenda 2010 sind das beste Rezept gegen Mutlosigkeit, Ohmacht und politische Abstinenz. Dieses Land braucht eine Agenda Sozial!

Mit Steuergeschenken an die großen Kapitalgesellschaften hat Rot-Grün in nur zwei Jahren auf fast 50 Milliarden € für den Staatshaushalt verzichtet. Bütikofer hat dies vorgestern bei Maybrit Illner als Fehler bezeichnet. Und wer bezahlt die Korrektur dieser Regierungsfehler, wenn Eichel meint: Wir leben über unsere Verhältnisse?"

Erst senkt man den Spitzensteuersatz, dann kürzt man die Arbeitslosenhilfe. Erst kassiert TollCollect Milliardensubventionen von der öffentlichen Hand, dann bettelt ein Parlament um die Offenlegung der Verträge. Erst verspricht man in der Agenda 2010 eine Ausbildungsumlage, dann macht man die verzweifelte Suche nach Ausbildungsplätzen zu einem Marketinggag für Clement. Gerade gestern hat Clement erneut erklärt, eine Ausbildungsumlage sei nicht notwendig. Erst schreit man nach Bildung und Innovation, dann werden Studienjahre bei der Rente gestrichen.

Deutschland hat inzwischen 755.000 Euromillionäre. In den letzten 10 Jahren haben sich Privatvermögen verdoppelt und der Staatshaushalt ist halbiert worden. Der Gipfel dieser Umverteilung von unten nach oben: Man macht Rentenpolitik nach Kassenlage. Wir werden mit realistischen Reformalternativen gebraucht.

Wir, die PDS, fordern: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit statt einer Bestrafung der Arbeitslosen!

Die Schaffung Existenz sichernder Arbeits- und Ausbildungsplätze ist durch Überstundenabbau, Arbeitszeitverkürzung und umlagefinanzierte Ausbildung möglich.

Wir fordern: Solidarische Sozialsysteme statt Leistungskürzung

Wir stehen für eine Versicherungspflicht für Alle. Wir halten die Erweiterung der Beitragspflicht auf Einkommen aus Wertpapierbesitz, Mieten und Pachten für angemessen, und eine Wertschöpfungsabgabe für Unternehmen für zeitgemäß. Der wirkliche Reichtum Deutschlands ließe sich an einer armutssicheren Grundsicherung und ein eigenständiges Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen messen und nicht an sozialen Polarisierungen, Egoismus und einem Klima der Entsolidarisierung mit den Nachbarn.

Wir fordern: Gerechte Steuerpolitik statt Geschenke an Besserverdienende

Wer in diesem Land nicht mehr über Vermögenssteuern redet, hat aufgehört, für eine gerechte Politik Mehrheiten zu gewinnen.

Wir fordern: Die Besteuerung von Börsen- und anderen Spekulationsgewinnen sowie Schließung von Steuerschlupflöchern.

Wir sammeln seit letzten Donnerstag Unterschriften für eine Petition der PDS an den Deutschen Bundestag: Darin sagen wir:
  • NEIN zu einem existenzbedrohenden Arbeitslosengeld II
  • NEIN zur Lockerung des Kündigungsschutzes
  • NEIN zur finanziellen Bestrafung Jugendlicher, denen das verfassungsmäßige Recht auf freie Berufswahl streitig gemacht wird
Wir sagen
  • JA zu einer Steuergerechtigkeit, die kleinen Einkommensbeziehern und den Kommunen wirklich hilft.
  • JA zu einem öffentlichen Beschäftigungssektor.
  • JA zu einer öffentlichen Investitionsquote auf europäischem Durchschnitt und einem kommunalen Infrastrukturprogramm in Ostdeutschland. Wir wollen das diese Petition für sozial gerechte und sinnvolle Reformen am Arbeitsmarkt noch in den laufenden Verhandlungen im Bundestag behandelt wird.
Es reicht: Alternativen sind möglich und gemeinsam machbar.

Der marode Staatshaushalt ist nicht der Grund, sondern die Folge der herrschenden Politik. Deutschland ist kein Opfer der internationalen neoliberalen Offensive, sondern einer der Motoren. Statt Aufrüstung und Milliarden für "Out of area" Einsätze der Bundeswehr brauchen wir: Investitionen in friedliche Konfliktlösungen, in Arbeit, in Bildung, in Kultur und internationale Begegnungen.

Wir werden uns im November gemeinsam mit den globalisierungskritischen und sozialen Bewegungen am Europäischen Sozialforum beteiligen. Wir kämpfen für ein friedliches, demokratisches und soziales Europa.

Gerechte Alternativen gegen den Sozialabbau sichern die Zukunft unserer Kinder, ihren Anspruch auf eine intakte Natur, ihre Neugier auf Begegnungen mit anderen Menschen.

Lasst uns gemeinsam und überall dafür kämpfen.

Quelle: www.pds-online.de/politik/aktuell


Widerstand tut not

Mag Wompel, Redakteurin von LabourNet Deutschland, am 1.11.2003 in 'junge Welt'

Die Protestdemonstration am heutigen Samstag in Berlin kann nur ein Anfang sein

Heute werden hoffentlich viele Zehntausende Menschen in Berlin gegen den Sozialkahlschlag demonstrieren. Das erlaubt, diese Demonstration schon im Vorfeld als einen Erfolg zu bezeichnen, weil sie gegen viele Widerstände zustande kam. Auch wenn wir wissen, daß selbst Hunderttausende auf den Straßen die Regierung nicht beeindrucken würden.

Es ist hinreichend bewiesen, daß sich alle Angriffe auf Löhne und Tarife, Arbeitszeiten, Kündigungsschutz, Krankenversicherung, Krankengeld, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sowie Rente gegen ausnahmslos alle Lohnabhängigen jeden Alters richten und wie immer Frauen, Kranke und Behinderte sowie Migranten am stärksten treffen. Niemand kann noch hoffen, daß es ihn nicht trifft, niemand wird verschont. Und doch regt sich ein öffentlicher Widerstand nur zaghaft, noch fällt es vielen Betroffenen schwer, Angst und Fatalismus zu überwinden.

Es ist ebenfalls hinreichend bewiesen, daß weder das Kapital noch der Staat - wer auch immer an der Regierung sitzen möge - für Existenzsicherung, soziale Gerechtigkeit oder allgemein das, was für uns ein gutes Leben wäre, zuständig ist. Es ist längst bewiesen, daß jede noch so kleine soziale Abfederung unter dem kapitalistischen Wolfsgesetz Kapital und Staat abgetrotzt werden mußte. Unsere Produktivität steigt ständig, und wir müssen sparen? Jedes Nachlassen im offensiven Vertreten unserer Ansprüche bezahlen wir mit kostbaren Errungenschaften, für die viele unserer Vorfahren gekämpft haben. Und dennoch sind immer noch allzu viele geblendet von der Hoffnung auf Dankbarkeit oder den gesunden Menschenverstand der Mächtigen. »Das können sie doch nicht machen!« Doch, das können sie, und sie tun es. Schließlich geht es um den Zwang zur Profitmaximierung. Deshalb erzählen sie von Zukunftsträchtigkeit und Wissensgesellschaft und treiben Kinder in Armut und uns alle in (Wirtschafts-) Kriege.

Es ist hinreichend bewiesen, daß Lohnarbeit in den seltensten Fällen glücklich macht; Millionen spielen Lotto, um dem zu entrinnen. Immer häufiger reicht der Lohn nicht zur Existenzsicherung - kaputt und krank macht diese Arbeit dennoch. Wer dieses »Privileg«, ausbeutbar zu sein, durch Krankheit oder Kündigung verliert, steht nun dem blanken Entsetzen gegenüber. Die bewußt geschürte Angst vor schneller Armut soll diese beschleunigen: durch Wohlverhalten und Lohnzurückhaltung. Auch hiervor kann sich niemand verschont fühlen, ob kleine Klitsche oder Großkonzern. Und doch setzen die Gewerkschaftsführungen immer noch lieber auf den Dialog mit den Tätern statt auf Widerstand mit den Opfern.

Die aktuellen Angriffe haben es bewiesen: Es geht uns keinesfalls gut, wenn es dem Kapital gut geht. Diese Lüge diente lediglich dazu, uns zu spalten. Deshalb ist die heutige Demonstration bereits jetzt ein Erfolg. Weil immer mehr Menschen kämpfen, nicht nur schimpfen wollen. Weil das Warten auf die Gewerkschaftsführungen ein Ende hat und wir es selbst in die Hand genommen haben. Weil es gelungen ist, fast alle Gruppen der Betroffenen in die Vorbereitung der Protestdemonstration einzubeziehen. Und weil dies Hoffnung weckt auf ein neues Alltagsverhalten, das solidarisch sein wird und frei von Neid und Mißgunst gegen »reiche Beschäftigte«, »faule Arbeitslose« und »unerwünschte Migrantinnen und Migranten«, »elitäre Studierende« sowie »Kranke und Rentner als Ballast«.

Es ist schließlich hinreichend bewiesen, daß die derzeitigen Gesetze des Sozialkahlschlags nicht das Ende der Entwicklung darstellen. Deshalb ist es wichtig, daß möglichst viele zeigen heute: Es reicht! Nicht mit mir, nicht mit uns! Es ist aber ebenso wichtig, daß möglichst viele auch der Daheimgebliebenen wissen, daß diese Demonstration erst der Anfang sein kann, daß wir immer mehr werden - europa- und weltweit.

Der Kapitalismus macht einen Sozialstaat erst nötig. Und weil vor allem hinreichend bewiesen ist, daß selbst die Abwehr der aktuellen Zumutungen aus dem bisherigen Sozialstaat noch lange keine soziale Gesellschaft macht, wäre es wünschenswert, sich darauf einzustellen, daß wir einen langen Kampf für eine bessere, grenzen- und klassenlose Gesellschaft vor uns haben, um einen Sozialstaat überflüssig zu machen. Diesen Kampf müssen wir nicht in Berlin, sondern vor Ort, jeder in seinem Alltag und in seinen Zusammenhängen führen. Durch Aufklärung, Verweigerung und Aneignung, durch Zivilcourage und solidarisches Eingreifen. Notfalls allein, besser in Bündnissen vor Ort, in Betrieb und Schule, auf dem Sozialamt. Der heutige Schritt ist nicht der erste und darf nicht der letzte bleiben, er ist aber wichtig.

Quelle: www.jungewelt.de