Göttingen, 17.-19.1.2003, attac-Ratschlag "Eine andere Welt ist möglich"Bilder

ATTAC attackiert Irak-Krieg

Artikel aus 'junge Welt' vom 16.1.2003 von Reimar Paul

Göttingen: Globalisierungskritiker tagen zu Friedensaktionen und Privatisierung von Dienstleistungen

Das Netzwerk der Globalisierungskritiker ATTAC unterstützt die geplanten Demonstrationen gegen einen möglichen Irak-Krieg. Nur ein breiter gesellschaftlicher Protest könne diesen Krieg noch verhindern, erklärten Sprecher der Initiative am Mittwoch in Göttingen. Der Irak-Konflikt wird auch im Mittelpunkt der Beratungen beim bundesweiten ATTAC-»Ratschlag« am kommenden Wochenende in der Universitätsstadt stehen.

»Wir rufen alle Menschen auf, am 15. Februar nach Berlin zu kommen«, so ATTAC-Pressesprecher Malte Kreutzfeldt gegenüber jW. An diesem Tag soll in vielen europäischen Hauptstädten zeitgleich gegen einen Irak-Krieg protestiert werden. ATTAC unterstützt auch die Großdemonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz am 8. Februar in München. Mitglieder des Netzwerks beteiligen sich zudem an der Vorbereitung einer Sitzblockade an der US-Airbase in Frankfurt/M. am Tag des möglichen Kriegsbeginns.

Bereits am 18. Januar startet in Göttingen eine zweiwöchige »ATTAC-Friedenstour« durch Deutschland. Dabei wollen Journalisten und Friedensaktivisten aus den USA, Großbritannien und Italien bei Veranstaltungen in 15 deutschen Städten mit Vertretern der deutschen Friedensbewegung diskutieren, so Astrid Kraus vom Koordinierungskreis, dem Leitungsgremium von ATTAC. Prominenteste Teilnehmerin an der Friedenstour ist die englische Kriegsreporterin Yvonne Ridley, die 2001 in Gefangenschaft der afghanischen Taliban geriet.

Ein weiterer Schwerpunkt beim Ratschlag ist das internationale Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services). Der Umfang des seit zwei Jahren in der Welthandelsorganisation (WTO) neu verhandelten Abkommens ist Kreutzfeldt zufolge »atemberaubend«. Nicht nur Post und Telekommunikation sowie Banken und Versicherungen sollen liberalisiert werden, sondern auch Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur, Tourismus und viele weitere Bereiche. »Das GATS zielt darauf ab, daß staatliche Subventionen oder Steuervergünstigungen für öffentliche Dienste in gleichem Maße ausländischen Privatanbietern gewährt werden oder eben gar nicht mehr«, sagte Kreutzfeldt. Es stehe zu befürchten, daß die für Dienstleistungen verfügbaren Mittel künftig noch weiter sinken. Qualitätseinbußen in der Versorgung, Preissteigerungen, erschwerter Zugang für Arme und sinkende Löhne für die Beschäftigten seien die absehbare Folge. ATTAC will sich im Frühjahr mit einer Kampagne für den Stopp der Verhandlungen einsetzen.

Das Netzwerk ATTAC hat nach Angaben von Sprecherin Astrid Kraus allein in Deutschland mehr als 11000 Mitglieder in rund 160 Ortsgruppen , weltweit seien es rund 90000 Mitglieder. Im vor kurzen eröffneten ATTAC-Bundesbüro in Frankfurt/Main sind zehn Personen beschäftigt. Ein wissenschaftlicher Beirat begleitet die inhaltliche Arbeit der Organisation. Zu dem Treffen in Göttingen haben sich rund 400 Teilnehmer angemeldet.


Wohin geht ATTAC?

Artikel aus 'junge Welt' vom 17.1.2003 von Gerhard Klas, Rheinisches JournalistInnenbüro

Ratschlag der Globalisierungskritiker in Göttingen. Kontroverse über Erklärung mit DGB und Venro

Nein, ATTAC ist keine Partei, sondern ein Netzwerk der Globalisierungskritiker. Eine andere, demokratischere Welt wollen die heute mehr als 10000 Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei ATTAC Deutschland, und so steht es in zahlreichen Erklärungen. Da befremdet es schon sehr, wenn in ATTAC selbst mit Methoden etablierter Parteipolitik gearbeitet wird, die diesen demokratischen Anspruch konterkarieren.

Man führt Verhandlungen im Hinterzimmer, erarbeitet eine neue programmatische Grundlage oder Übereinkunft und unterbreitet diese mit einer groß angelegten Pressekampagne der Öffentlichkeit. Die überraschten Mitglieder werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Nach diesem Rezept ist das leitende Gremium von ATTAC, der neunzehnköpfige bundesweite Koordinierungskreis vorgegangen - mit Ausnahme von zwei Mitgliedern. Ohne die Mitglieder einzubeziehen oder irgendein anderes Gremium des bundesdeutschen ATTAC-Netzwerkes zu konsultieren, hat der Koordinierungskreis die Plattform von ATTAC verlassen und gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und Venro, dem Dachverband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen, ein programmatisches Papier mit dem Titel »Globalisierung gerecht gestalten« verfaßt. Seit das Papier Anfang Dezember auf einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert und in sämtlichen Tageszeitungen zitiert wurde, gibt es einen Aufschrei in zahlreichen ATTAC-Regionalgruppen. Viele ATTAC-Mitglieder fühlen sich hintergangen.

Dabei sind sie nicht grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften oder anderen gesellschaftlichen Gruppen. Im Gegenteil werden auch sie nicht müde zu betonen, daß noch viel breitere Bündnisse nötig sind, um den neoliberalen Konsens der etablierten Politik zu brechen. Aber sie stellen sich die Frage: Auf welcher Grundlage? In dem Papier jedenfalls, so die Kritik, werden lediglich die Lippenbekenntnisse der rot-grünen Bundesregierung breitgetreten. Die zentrale ATTAC-Forderung nach einer grundlegend anderen Wirtschaftsordnung fällt in der gemeinsamen Erklärung unter den Tisch.

Die Lektüre des Papiers verdeutlicht, warum der Koordinationskreis kein Interesse an einer breiten Diskussion dazu hatte. Gemeinsam mit DGB und Venro fürchtet er ganz staatsmännisch um die Währungsstabilität zwischen Dollar, Yen und Euro und lamentiert über die mangelhafte internationale Kooperation der drei größten Wirtschaftsblöcke. Der Handel mit Dienstleistungen wird grundsätzlich akzeptiert, nur Bildung, Gesundheit und Wasser sollen bitteschön ausgenommen werden, lautet ihr freundlicher Appell an die Welthandelsorganisation. Vom Schutz ursprünglich öffentlicher Dienstleistungen wie Verkehr, Energie und Postwesen gegen Privatisierung ist keine Rede mehr. Das Trio sorgt sich auch um Investitionen und fordert ein internationales Investitionsschutzabkommen. Denn diese Geschäfte sind für sie Grundlage von Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung - selbstverständlich ergänzt durch »ökologische und soziale Kriterien«. Zu guter Letzt fordern die Macher nicht einmal mehr ein Mitspracherecht der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, sondern geben sich mit deren »Beobachterstatus« bei der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation zufrieden.

Nun hätte es ja gut sein können, daß sich die Initiatoren aus dem Koordinationskreis von der massiven Kritik, die auch auf der ATTAC-Homepage und zahlreichen Mailing-Listen nachzulesen ist, beeindrucken lassen. Aber nichts dergleichen. Wenige Tage vor dem am heutigen Freitag beginnenden bundesweiten ATTAC-Ratschlag in Göttingen hat sich nur ein einziges Mitglied gegen diese Erklärung gestellt, ein weiteres ist aus dem Koordinierungskreis ausgetreten. Alle anderen Mitglieder haben in einem gemeinsamen Brief erklärt, daß sie ihr Vorgehen und die Inhalte der Kompromißerklärung grundsätzlich befürworten. Sie bedauern lediglich »Fehler in der internen Kommunikation«. Die Basis ist empört und redet von Vertrauensbruch. Einige fordern sogar den Rücktritt des Koordinierungskreises, sollte der sich weigern, die Unterschrift unter das Papier zurückzuziehen.

Michael Sommer, der vom Koordinierungskreis heiß umworbene Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitunterzeichner des Papiers, hat schon mal deutlich gemacht, wo die Reise hingehen wird, sollte sich der ATTAC-Koordinationskreis durchsetzen. Sommer erhielt eine Einladung für den renommierten, europaweiten Kongreß »Das andere Davos« in Zürich. Er wird veranstaltet von Globalisierungsgegnern und findet parallel zum Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre statt. Zeitgleich veranstalten Wirtschaftsbosse, führende Politiker und ihre Wissenschaftler das World Economic Forum im Wintersportparadies Davos. Dort wird über Lösungen für globale Probleme diskutiert - unter neoliberalen Vorzeichen selbstverständlich. Das heißt: noch mehr Privatisierung, noch weniger Lohn für abhängig Beschäftigte und noch mehr Schulden für die Länder der sogenannten Dritten Welt. Und nebenbei werden in Davos auch noch lukrative Geschäfte gemacht. Nun hat der DGB-Vorsitzende Sommer auch eine Einladung nach Davos bekommen. Die Globalisierungsgegner aus Zürich stellten ihn vor die Wahl: entweder zu denen oder zu uns. Einige Mitarbeiter im Bundesvorstand versuchten noch, ihren Chef zu überzeugen. Ohne Erfolg. Der große Vorsitzende fährt zu den Wirtschaftsbossen. Die Züricher Veranstalter kommentierten: »Nun hat er sich entschieden, wo er hingehört«.

Auch ATTAC wird sich an diesem Wochenende in Göttingen entscheiden müssen. Für eine kungelnde Führung, für die Positionen taktische Spielmasse sind, oder für ein demokratisches Netzwerk, das seine Inhalte und Mitglieder ernst nimmt. Sollte sich der Koordinierungskreis durchsetzen, würde ATTAC zum außerparlamentarischen und vor allem dünnen Arm einer modernisierten Sozialdemokratie degenerieren.


Werner Rätz

Interview in 'junge Welt' vom 17.1.2003, geführt von Damiano Valgolio

ATTAC-Ratschlag in Göttingen: Gegen Krieg und Globalisierung?

jW sprach mit Werner Rätz, Mitglied im ATTAC-Koordinierungskreis und der Informationsstelle Lateinamerika

F: Am heutigen Freitag beginnt in Göttingen der ATTAC-Ratschlag, die große bundesweite Konferenz Ihrer Organisation. Was werden die wichtigsten Themen sein?

Wir haben zwei Ratschläge pro Jahr. Auf dem jetzt anstehenden wird es einen großen Block zum Thema Krieg und Frieden geben. Vor allem der bevorstehende Irak-Krieg steht natürlich auf der Tagesordnung. Darüber hinaus werden wir uns mit Fragen der Privatisierung von Dienstleistungen und sozialen Sicherungssystemen beschäftigen. Dabei spielt der Widerstand gegen das internationale Liberalisierungsabkommen GATS eine wichtige Rolle, was schon im vergangenen Jahr ein Schwerpunkt der Arbeit von ATTAC war. Es gibt einen breiten Konsens darüber, daß sich eine gute Bildung und soziale Sicherheit nicht mit privaten Profitinteressen vereinbaren lassen. Deshalb werden Privatisierungen in diesem Bereich abgelehnt. Mehr Diskussionsbedarf gibt es dagegen noch in den Fragen der Weltwirtschaft und der Bewertung der momentanen ökonomischen Entwicklung.

F: Wird sich ATTAC auch an den Protesten und Aktionen gegen den drohenden Irak-Krieg beteiligen?

ATTAC hat sich auf seinem letzten Ratschlag im vergangenen Jahr ausdrücklich als Teil der Friedensbewegung definiert. Wir arbeiten in dem Bündnis mit, das am 15. Februar in Berlin die große bundesweite Friedensdemonstration vorbereitet. An diesem Tag wird es in allen europäischen Hauptstädten Großdemonstrationen gegen den Krieg geben, wie es auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz beschlossen worden ist. Außerdem beteiligen sich die ATTAC-Gruppen vor Ort an den lokalen Friedensinitiativen. Überall, wo Bündnisse gegen den Krieg entstehen, ist ATTAC in der Regel dabei.

F: Im Vorfeld des Ratschlags gab es bereits Auseinandersetzungen um das Papier »Globalisierung gerecht gestalten«, das der ATTAC-Koordinierungskreis gemeinsam mit dem DGB und dem Verband der Nichtregierungsorganisationen verabschiedet hat. Wird es dazu weitere Diskussionen geben?

Es gibt zu diesem Punkt kritische Anträge von zwei Gruppen. Diese befürchten, daß der Koordinierungskreis mit dem Papier versucht, den Konsens innerhalb von ATTAC zu verschieben. Tatsächlich hat das Papier große Schwachstellen, zum Beispiel einige Formulierungen, die tendenziell nicht nur die WTO gutheißen, sondern auch die Unterordnung sozialer Fragen unter die ökonomischen Interessen. Wir haben ihm trotzdem zugestimmt, da wir hoffen, so die globalisierungskritischen Tendenzen im DGB zu stärken. Sicherlich wird es dazu noch Diskussionen geben.

F: Wird sich das Feld der Themen, die ATTAC beackert, weiter verbreitern?

Globalisierungskritik ist sehr umfassend und kann sich nicht auf unsere ursprüngliche Kritik der Finanzmärkte beschränken. Auch den Krieg sehen wir als Folge dieser verrückten kapitalistischen Globalisierung, die sich nur noch mit militärischen Mitteln aufrechterhalten läßt. Ähnliches gilt für die Privatisierung des Rentensystems. Dennoch ist es problematisch, wenn ATTAC versucht, sich zu allen sozialen Themen zu äußern, ohne irgendwo eine Grenze zu ziehen.


Widerspenstige ATTAC-Basis

Artikel aus 'junge Welt' vom 20.1.2003 von Daniel Behruzi

Göttingen: Ratschlagsteilnehmer lehnen bereits veröffentlichte Stellungnahme zu Globalisierung ab

Kontrovers ging es auf dem bundesweiten Ratschlag des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC am Wochenende in Göttingen zu. Vor allem über eine gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Nicht-Regierungsorganisationen im November letzten Jahres veröffentlichte Erklärung zur Globalisierung gab es unter den mehr als 400 Teilnehmern zum Teil heftige Debatten. Die Kritiker bemängelten, die neoliberale Globalisierung, das GATS-Abkommen und Privatisierung würden darin nicht nur grundsätzlich akzeptiert, sondern zum Teil sogar begrüßt. »Dieses Papier sagt in der Essenz: Eine andere Welt ist doch nicht möglich. Sie ist auch gar nicht nötig. Es reicht, wenn wir den Kapitalismus etwas netter schminken«, sagte Claus Ludwig von ATTAC Köln. Die Gruppen aus Köln und Hamburg hatten beantragt, die Unterschrift unter das DGB/Venro-Papier zurückzuziehen.

Kritisiert wurde auch das Zustandekommen der Erklärung, die trotz ihrer großen Bedeutung in keinem Gremium des Netzwerks außerhalb des 20köpfigen Koordinierungskreises diskutiert worden war. Dies sei eine »Mißachtung elementarer demokratischer Spielregeln«, so Ludwig bei der Antragsbegründung. Die inhaltliche Kritik an dem Papier war beinahe einhellig. So erklärte Angela Klein von den Euromärschen, darin finde sich »nichts als linke Phraseologie, die auch die Bundesregierung pflegt«.

Die Verteter des Koordinierungskreises begründeten ihr Vorgehen in erster Linie mit bündnispolitischen Erwägungen. So sei eine »strategische Allianz« mit den Gewerkschaften für ATTAC von großer Bedeutung. Die gemeinsame Erklärung sei ein »Türöffner« in die Gewerkschaftshäuser, erklärten Befürworter des Papiers. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften wurde indes auch von den Kritikern nicht bestritten. Lucy Redler aus Hamburg sagte, man müsse aber zunächst eigene Forderungen formulieren und dann sehen, »mit welchen Organisationen sich Schnittmengen ergeben, nicht umgekehrt erst die Bündnispartner aussuchen und dann die eigenen Positionen denen anpassen«.

Peter Wahl vom Koordinierungskreis bezeichnete die Kontroverse als »tiefgehend und ernsthaft«. Sie könne »zum Anfang vom Ende von ATTAC werden«, sagte er. Kurt Haymann, ebenfalls Mitglied des Koordinierungskreises, argumentierte, ATTAC mache sich unglaubwürdig, wenn die Unterschrift unter das Papier zurückgezogen werde.

Die Erklärung wurde schließlich in einem »Meinungsbild« mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Gleichzeitig fanden die Anträge, die ein Zurückziehen der Unterschrift forderten, keine Mehrheit. Statt dessen wurde eine Zusatzerklärung zum DGB/Venro-Papier beschlossen, in der es heißt, das Papier widerspreche dem in der »Frankfurter Erklärung« festgehaltenen ATTAC-Konsens.

Neben dieser Kontroverse gab es beim Ratschlag eine Reihe weiterer inhaltlicher Debatten, unter anderem über den drohenden Angriff auf den Irak und das GATS-Abkommen zur weiteren Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Mit einer Auftaktveranstaltung wurde die ATTAC-Friedenstour gegen den Irak-Krieg eröffnet, bei der in den nächsten Tagen in 17 Städten Veranstaltungen mit internationalen Rednern stattfinden werden. Schwerpunkte bilden in den nächsten Wochen die Mobilisierung zum internationalen Aktionstag gegen den drohenden Irak-Krieg am 15. Februar in Berlin, zum G-8-Gipfel im Juni im französischen Evian sowie zur WTO-Tagung, die im September im mexikanischen Cancun stattfinden wird.

(Siehe auch Interviews mit Claus Ludwig und Kurt Haymann)


Kurt Haymann

Interview in 'junge Welt' vom 20.1.2003, geführt von Daniel Behruzi, Göttingen

Verstößt ATTAC-Koordinierungskreis gegen Konsens?

Kurt Haymann aus München ist Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von ATTAC. jW sprach mit ihm

F: Die Kritiker der mit DGB und Venro verfaßten Erklärung werfen Ihnen vor, damit gegen den bei ATTAC bestehenden Konsens verstoßen zu haben.

Einige Formulierungen sind gewiß grenzwertig, was niemand abstreitet und vom gesamten Koordinierungskreis auch so in Kauf genommen wurde. Uns war jedoch der Bündnisaspekt wichtig. Es war allen bewußt, daß von der Avantgarde-Position, die ATTAC in dem Bündnis innehat, inhaltliche Abstriche notwendig sein würden, was jedoch keinerlei Verschiebung von ATTAC-Positionen bedeutet.

F: Große Teile der beim Ratschlag Anwesenden waren aber offenkundig anderer Meinung?

Das sehe ich nicht so. Es wurde lediglich ein Meinungsbild über den Inhalt erstellt. Viel wichtiger erscheint mir: Die Mehrheit hat keinen Anlaß oder Sinn darin gesehen, die Unterschrift unter das Papier zurückzuziehen.

F: Halten Sie es für sinnvoll, an die Bundesregierung als maßgeblichem Akteur der neoliberalen Globalisierung Bitten und Wünsche heranzutragen, wie in der Erklärung geschehen?

Ich sehe darin verhältnismäßig wenig Sinn. Es ist aber wichtig, sich mit denjenigen zusammenzutun, mit denen es kompatible Positionen gibt, um gemeinsam auf die Bundesregierung Druck ausüben zu können. Deshalb halte ich die Gewerkschaften für einen wichtigen Partner.

F: Wären nicht gemeinsame Aktionen sinnvoller, als lange inhaltliche Papiere mit der Gewerkschaftsspitze zu erarbeiten?

Man muß das eine tun und darf das andere nicht lassen. Es ist wichtig auf den unteren und mittleren Ebenen zusammenzuarbeiten, und die Kriegsfrage zeigt, daß uns das immer besser gelingt. Gerade jene ATTAC-Mitglieder, die auf unterschiedlichen Ebenen der Gewerkschaften arbeiten, sagen, daß es hilfreich sei, die schwerfälligen Gewerkschaftsspitzen mit solchen Erklärungen zu größerer Offenheit gegenüber ATTAC zu bewegen, was wiederum der Gewerkschaftsbasis zugute kommt.

F: Was halten Sie von der Kritik am Zustandekommen der Erklärung?

Auf dem Ratschlag hat niemand bestritten, daß der Koordinierungskreis, so er denn den ATTAC-Konsens nicht verläßt, legitimiert ist, für ATTAC zu sprechen. Insofern ist dieses Papier nicht undemokratisch zustandegekommen. Im Koordinierungskreis gab es bei der Abstimmung einen Konsens darüber, der Erklärung zuzustimmen. Was ich einräume, ist, daß es im Vorfeld erhebliche Kommunikationsdefizite gab. So wurde allein schon aus Zeitgründen leider versäumt, das Papier auch im Rat zur Diskussion zu stellen. Der Koordinierungskreis hat sich dafür bereits entschuldigt.

Konsequenz der Debatte muß sein, Informationsdefizite abzubauen und Verfahrensfragen zu Konsens- oder Mehrheitsentscheidungen zu klären. Und schließlich brauchen wir eine inhaltliche Debatte darüber, was der Koordinierungskreis machen darf und soll.


Claus Ludwig

Interview in 'junge Welt' vom 20.1.2003, geführt von Daniel Behruzi, Göttingen

Richtungsstreit unter Globalisierungskritikern: Kämpferische Basisbewegung oder Beraterlobby?

jW sprach mit Claus Ludwig, Mitglied im Koordinierungskreis der Kölner Gruppe des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC

F: Im Dezember hat ATTAC gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro) eine Stellungnahme mit dem Titel »Globalisierung gerecht gestalten« veröffentlicht. Auf dem bundesweiten ATTAC-Ratschlag am Wochenende in Göttingen wurde deren Inhalt von einer Mehrheit abgelehnt. Sie haben die Rücknahme der Unterschrift von ATTAC unter das Papier gefordert. Warum?

Die Stellungnahme liegt nicht im Rahmen des Konsenses bei ATTAC. Hier werden eindeutig pro-marktwirtschaftliche Positionen festgeschrieben. Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung werden darin ausdrücklich akzeptiert und lediglich mit Schminke versehen - wenn es etwa heißt, man wolle die Globalisierung mit einem »demokratischen Antlitz« versehen. Die Botschaft lautet: Keine grundlegende gesellschaftliche Veränderung.

F: Neben dessen Inhalt kritisieren Sie auch das Verfahren, mit dem das Papier zustande gekommen ist.

Der bundesweite Koordinierungskreis hat es nur intern diskutiert. Er hat mit dem DGB über die sehr weitgehende inhaltliche Positionierung mehrere Monate gesprochen, ohne diese mit der Basis oder in breiteren Gremien wie dem ATTAC-Rat zu thematisieren. Die meisten ATTAC-Mitglieder haben erst aus der Presse erfahren, daß so ein Papier überhaupt existiert.

F: Sind Bündnisse mit den Gewerkschaften nicht sinnvoll?

Die Zusammenarbeit ist absolut sinnvoll. Wir sollten die Kolleginnen und Kollegen bei Auseinandersetzungen in den Betrieben unterstützen, wenn diese etwa für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung oder gegen Privatisierung kämpfen. Auch mit den Bundesvorständen kann eine Zusammenarbeit lohnend sein, aber nur dann, wenn damit auch Fortschritte erzielt werden.

F: Stellt die Stellungnahme nicht aber zumindest für den DGB einen Fortschritt dar?

Nein. Dieses Papier besteht im Prinzip nur aus Bitten und Wünschen an die Bundesregierung. Man spricht damit ausgerechnet diejenigen an, die in den zurückliegenden Jahren die neoliberale Politik vorangetrieben haben. Es wird sogar ausdrücklich die Privatisierung bestimmter Bereiche, wie des Transportsektors, befürwortet. Man spricht sich weiterhin für Investitionsschutz aus, wenn auch verbrämt mit der Forderung nach »Umwelt- und Sozialnormen«. Fakt ist: Investitionsschutz bedeutet nichts anderes, als Schutz von Unternehmerprofiten.

F: Ist die Bereitschaft zu inhaltlichen Zugeständnissen nicht eine Voraussetzung für Bündnisse?

Nur dann, wenn die Richtung stimmt. Dieses Papier führt zur Einbindung von ATTAC in die NGO-Beraterlobby für Regierungsbürokratie und Unternehmen.

Daß die Erklärung auf dem Ratschlag mit großer Mehrheit inhaltlich abgelehnt wurde, hat den Unmut großer Teile der Basis verdeutlicht. Die Aktivisten haben klargemacht, daß sie ATTAC als kämpferische Basisbewegung wollen und nicht als Beraterlobby für Regierung und Konzerne.


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